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AFRIKA & TIBET

Kein Jodler, Kein Hadern

Profil 26 22. Juni 1998 | Text: Christian Seiler | Foto: Lukas Beck

Comeback: Nach vier Jahren Abwesenheit meldet sich Hubert von Goisern, Star der Neuen Volksmusik, mit zwei neuen Alben und viel Engagement zurück

Hubert und Bongo im StudioEr ging fort, jetzt ist er wieder da. Fast vier Jahre sind vergangen, seit Hubert von Goisern sich vernehmlich von der Konzertbühne verabschiedet und unter Hinterlassung des Live-Doppelalbums Wia die Zeit Vergeht, wie er sagt, "aufgehört hat". Das ist ein großes Wort, wenn man Niki Lauda heißt und es von heut auf morgen satt hat, im Kreis herumzufahren.

Hubert von Goisern bereitete sein Aufhören sensibler vor. Er hat der Neuen Volksmusik - dem Trend, den er via Hiatamadl mit gewaltiger Schubkraft in alle Haushalte Österreichs und Süddeutschlands verteilt hat - einfach das Licht ausgeknipst. Als Goisern abtrat, vertschüßte sich die Kunst, mit der Elektrogitarre jodeln zu können, ins Eck des volkstümlichen Schlagers. Dort warteten bereits Klostertaler, Zillertaler, Hardbradler, um Goiserns Erbschaft anzutreten. Ja, klar erbten sie sein Publikum. Aber sie schafften es natürlich keine Sekunde lang, ihrem Wirken eine andere als eine kommerzielle Legitimation zu unterstellen. Heast es ned? Mei, san die Leidln bled!

Goisern hat sich ein schönes Bild zurechtgelegt, um seine Abkehr von der Schlager welt zu illustrieren. "Als ich angefangen hab'", sagt er, "war ich der Hecht im Karpfenteich. Am Schluß hatte ich Angst, daß ich schon ein Karpfen bin." Daher Schluß, weil: "Ich mußte Platz schaffen, etwas erleben zu können."

Mit Goisern verabschiedete sich nicht nur der weitaus populärste der Neuen Volksmusikanten, sondern vor allem der einzige, der einen Zusammenhang zwischen traditioneller Musik und Pop herstellen konnte und das Ergebnis so formulierte, daß es die Allgemeinheit verstand. Daher: Goisern weg - und im Korridor der Neuen Volksmusik tiefe Dunkelheit.

Fremde Federn? Wenn Hubert von Goisern am kommenden Montag seine beiden neuen Alben vorstellt, wird allerdings kein vertrautes Licht in diese Dunkelheit fallen. Denn weder Inexil noch Gombe sind Goisern-Alben im herkömmlichen Sinn. Keine Volkslieder. Kaum ein Jodler. Selten die Harmonika. Kein Reim. Kein Witz. Kein Hadern.

Goisern und Tibet: "Enttäuscht von SPÖ"

Goisern wäre nicht Goisern, wäre er sich nicht seiner ungebrochenen Popularität bewußt - und fühlte er sich nicht verpflichtet, diese in den Dienst der tibetischen Sache zu stellen - wie im übrigen viele andere internationale Stars auch. Nicht nur Richard Gere und Martin Scorsese engagieren sich für Tibet, auch die wilden Jungs der Beastie Boys, die vor einem Jahr ein riesiges Benefizkonzert in New York organisierten. Diese Anregung will auch Hubert von Goisern aufnehmen. Fürs kommende Jahr plant er ein großes Tibet-Benefiz in Österreich, Deutschland oder der Schweiz.

Vorher mußte er allerdings noch Bekanntschaft mit der österreichischen Tagespolitik machen. Nach seinem Besuch beim Dalai Lama entwickelte Goisern nämlich die Idee, Seine Heiligkeit nach Österreich einzuladen. Im Bad Ischler Bürgermeister Helmut Haas fand er die offizielle Instanz, die diese Einladung aussprechen konnte. Der Dalai Lama sagte zu.

Voll in Ordnung. Dessen Besuch im Parlament, der die Einladung flankieren sollte, gestaltete sich in Folge überraschend schwierig. Während Goisern über Vermittlung von Madeleine Petrovic in ÖVP-Klubobmann Andreas Kohl (Goisern: "Er ist als Mensch voll in Ordnung") einen Verbündeten fand, ließen sich sämtliche Abgeordneten der SPÖ für die Dauer des Dalai-Lama-Besuchs weder sehen noch hören. Nationalratspräsident Heinz Fischer begündete: "Der Dalai Lama repräsentiert keinen Staat. " Weshalb sich auch Außenminister Wolfgang Schüssel nur "als Privatperson" mit dem Geistigen Oberhaupt der Tibeter traf. Kommentar Goiserns: "Ich bin als Roter aufgewachsen, und es tut mir weh, zu sehen, wie profillos sämtliche SPÖ-Politiker geworden sind. Sie benehmen sich beschämend. Ich würde es ihnen vergönnen, wenn sie weg vom Fenster wären."

Obligate Peinlichkeit. Auch in Bad Ischl schlug sich der oberösterreichische ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer auf die Seite des Dalai Lama (Goisern: "Der Pühringer hat noch nie einen so guten Sound auf seinem Mikro gehabt"), während der damlige SPÖ-Vorsitzende Fritz Hochmaier noch versucht hatte, seinen Bad Ischler Parteifreund Haas von der Idee der Einladung abzubringen.

Für die obligate Peinlichkeit sorgte dann eh die lokale Trachtengruppe. Sie setzte dem Dalai Lama allen Ernstes einen Steirerhut auf.

Goisern hat vielmehr versucht, die Zusammenhänge, auf denen sein bisheriges Wirken basierte, draußen in der Welt zu überprüfen. er hat eine CD mit afrikanische Musik aufgenommen und eine mit tibetanischer. Er hat sich ihrer Traditionen, ihrer Improvisationsfähigkeit und ihres Eigensinns bedient. Im Gegenzug hat er ihnen sein Geld und seine Möglichkeiten zur Verfügung gestellt und schließlich die Verantwortung für das Ergebnis übernommen.

Soll heißen: Goisern hat die originalen Einspielungen afrikanischer und tibetanischer musikalischen Kommentaren versehen und daher aus der Ecke der Authentizität gehebelt. Das gibt ihm auch Recht, die beiden Alben unter seinem Namen zu veröffentlichen, obwohl ihn der Vorwurf, sich mit fremden Federn zu schmücken, wohl nicht erspart bleiben wird - André Heller weiß ein Lied davon zu singen.

Dabei kann Goisern sehr glaubwürdig darlegen, daß, was jetzt digital verarbeitet vorliegt, keiner langfristigen Planung entsprang oder, besser, keiner konkreten langfristigen Planung.

Eines Tages nämlich stand Jane Goodall vor seiner Tür, die Schimpansenforscherin. (Das Verbindungsglied zwischen dem Musiker und der Vorhaltensforscherin war Michael Neugebauer, der aus Bad Goisern gebürtige Mitarbeiter des Nord-Süd-Verlags. Er hatte mit Goodall ein Schimpansenbuch für Kinder gemacht, das ein großer Erfolg gewesen war, und übernahm darauf ihr Management).

Goodall lud Goisern nach Afrika ein, ein Jahr später reiste er. Blieb einen Monat am Tanganika-See in Tansania, heckte, Sklave seines ungebrochenen Aktivitätsdrang, das Projekt aus, einen Film zu drehen. Die Musik zu diesem Film (der im ORF in der Reihe Land der Berge lief) bildet die Grundlage von Gombe.

Nicht weniger zufällig - Goisern behauptet immer wieder heftig, an den Zufall zu glauben - das Tibet-Projekt. Anruf von Tseten Peldon: ob Hubert nicht ein wenig Propaganda machen könne für eine Konzerttournee tibetanischer Musiker und Tänzer durch Österreich, der kauf gehe schleppend. Goisern gestattet die Verwendung seines Namens auf dem Plakat unter der Berdingung, die Veranstaltung moderieren zu dürfen - um keinen Etikettenschwindel zu betreiben. Er durfte. Während zwei Wochen lernte er die Musiker des TIPA kennen, des im nordindischen Dharamsala ansässigen Kulturinstituts der Exil-Tibeter, und entdeckte seine Faszination für ihre sperrige, gleichwohl eindringliche Musik (zum politischen Aspekt der Sache siehe Kasten links).

Profane Beobachtungen: Diesmal entstand das Goisern-Projekt aus dem Hinterfragen profaner Beobachtungen: Tagsüber hörten die Tibetaner ausschließlich westlichen Pop. Abends schlüpften sie in ihre Trachten und spielten traditionelle asiatische Musik. Was ließe sich aus diesem Ungleichgewicht machen? Wie, fragte sich Goisern, könnte man den Kreis des Publikums über einen esoterischen Zirkel von Tibet-Freaks und Buddhismus-Interessierten ausdehnen?

Aber bis Inexil, die liebevollere der beiden neuen Goisern-CDs, entstehen konnte, mußten erst mannigfaltige Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden.

Zuerst Goiserns Zweifel: ob es in Tibet tatsächlich so wild zugehe, wie seine Freunde erzählten. Er fuhr nach Lhasa, kam von den Zuständen deprimiert = motiviert zurück. Dachte sich ein Album aus, das mehr als traditionelle Folklore bieten sollte. Zum Beispiel die Goiserisierung des tibetanischen Heimwehs. Warum, fragte Goisern seine Kollegen, erzählen wir die Geschichte des Mädchens aus der osttibetischen Region Kham, das seine Eltern vermißt, nicht mit unseren eigenen Worten? (Eine Frage, deren Beantwortung sich in Österreich bekanntlich zur Neuen Volksmusik ausgewachsen hat.)

Nicht so einfach. Denn tibetanische Kultur ist heilig. Goisern mußte sich in eine lange Warteschleife begeben, um in einer Privataudienz beim Dalai Lama die formelle Genehmigung zu bekommen, tibetanisches Kulturgut goiserisieren zu dürfen.

Er kriegte sowohl Audienz als auch Genehmigung. Sein Treffen mit dem Dalai Lama beschreibt er so: "Wir hatten eine Stunde Zeit. Diese Stunde kam mir so lang vor wie ein ganzer Tag. Der Mann hat mich ungeheuer beeindruckt. Er war so offen und interessiert. Er klammert sich an nix. Wenn's so ist, wie's ist, nimmt er's an. Natürlich, sagte er, sollen wir mit den alten Liedern machen, was wir wollen."

Goisern kehrte nach Österreich zurück, packte sein mobiles Studio zusammen, reiste mit seinem Wohngenossen und langjährigen Tontechniker Wolfgang Spannberger nach Dharamsala. Doch dort konnte man nicht arbeiten: Goisern berichtet von dauernden Stromausfällen und von auf dem Dach des Behelfsstudios tanzenden Schimpansen, die einen mörderischen Wirbel machten. Daher zurück nach Salzburg, wo sich Goisern im ehemaligen Saal des lokalen Schachklubs ein Studio eingerichtet hat. Mit vier TIPA-Musikern sowie österreichischen und südamerikanischen Freunden nahm er die zwölf Title von Inexil auf, mit Ausnahme eines einzigen Stücks traditionelle tibetanische Meoldien in neuem, zum Teil sehr zeitgenössischem Arrangement.

Fenster in die Welt. Was sind die Arbeiten Goiserns wert? Zweifellos hat er in die aktuellen Alben viel (Zeit, Geld, Begeisterung) investiert, deshalb geht der Vorwurf, Goisern wolle auf der Ethno-Welle mitschwimmen, fürs erste ins Leere. Goisern will, und das ist ein ehrenwerter Ansatz, Fenster aufreißen, um Welt hereinzulassen. Er beruft sich dabei nicht auf Authentizitäten oder verbürgte, musikalishe Wahrheiten, sondern auf die eigene Emotion angesichts neuer Eindrücke. Das ist vermutlich auch der einzige brauchbare Ansatz für Projekte wie diese.

Zum Beispiel Kham-Lu, das angesprochene Heimatlied aus Osttibet. Im Original eine beklemmende, knapp an der Schreigrenze stuierte Klage einer Frau, a cappella; im Arrangement Goiserns eine monumentale Basisinstrumentierung von Orgel und Streichern, die dem Gesang das Quälende, Schrille nimmt. Auf anderen Tracks Schlagzeugspuren, Loops, hie und da eine Wandergitarre, eine Trompetsolo' Goisern hat das Fremde an der Hand genommen und ihm ein paar Brocken österreichischer Musik beigebracht.

Fürs Museum ist Goiserns Kham-Lu daher nicht mehr geeignet. Aber fürs Radio - und für die Bühne, auf die Hubert von Goisern mit einem 25minütigen Programm zurückfindet: drei Lieder von seinen neuen Alben plus Heast as nit, Goiserns schönster Eigenkomposition. Als er vergangene Woche in Hallstatt open air spielte, wehte der Wind fast die Bühne davon, ein Verstärker explodierte und begann zu brennen. 3000 Zuschauer tobten. Wenn einer wie Goisern ein Herz für Dramatik hat, dannsind das magische Begleitumstände für ein Bühnencomeback. (Das Comeback mit einer völlig neuen Show, für die neue Lieder erst gescrieben werden müssen, ist übrigens fürs nächste Frühjahr geplant.)

Er war weg, und pötzlich ist er wieder da, selbst an Orten, die er schon vor seinem Abschied nur als Trojanisches Pferd betrat. Als Goisern von der ZDF-Show Alpenrock on Tour - bezeichnenderweise moderiert vom Schlager-Schreckensduo Marianne & Michael - eingeladen wurde, sagte er allen Zweifeln zum Trotz zu. Stellte sich in die alpinen Alptraumkulissen und sang, und alles war wie früher.

Nur eines nicht. Als er an der Reihe war, entfaltete Hubert von Goisern das Transparent "Freiheit für Tibet".

Gombe und Inexil

PEC, Dirty Linen 1. April 1999

Von Goisern ist ein österreichischer Produzent und Reisender. Seine neuesten Arbeiten, Inexil und Gombe, stellen innovative und hochgradig anspruchsvolle Ausflüge in die tibetanische- und afrikanische Musik dar. Inexil bringt erfrischende Musik und Produktionstechniken, die zwar ganz entschieden modern sind, die aber dennoch uralte Traditionen widerspiegeln. Das Album löscht jegliche vorgefasste Meinung, die man bezüglich tibetanischer Musik haben könnte, aus. Die Musik sprüht in einem solchen Ausmaß vor Originalität und Leidenschaft, daß das gesamte Album eine zeitlose Qualität gewinnt. Gombe, das, wie es scheint, von Goisern's Treffen mit Jane Goodall inspiriert ist, erkundet eine Vielfalt von afrikanischer Musik, welche zum großen Teil von Hubert von Goisern selbst dargebrachtt wird. Einige Stücke sind hochgradig Schlagwerk-orientiert, während andere, wie zum Beispiel eines, das eine künstlerische Interpretation von Affengeschrei darstellt, außerordentlich spielerisch sind. Einige andere sind Verschmelzungen von österreichischen und afrikanischen Klängen. Das Album erreicht zwar nicht ganz die transzendenten Höhen von Inexil, aber ist nichtsdestotrotz eine faszinierende impressionistische Lautmalerei, welche den musikalischen Reichtum dieses Kontinents widerspiegelt.

"Angst durch Unwissenheit"

Global Beats Januar 2001 | Text: Hertha Schwaighofer und Martin Sturmer | Foto: Martin Sturmer

Hubert von GoisernNach den Ethno-Alben Gombe und Inexil ist HvG mit seiner neuen Platte Fön zu seinen musikalischen Wurzeln zurückgekehrt. Sein Traum gedeiht aber weiterhin in Afrika: Dort will der Salzburger Künstler ein Kulturfestival organisieren

Mit Deinem neuen Album Fön bist Du auf Erfolgskurs. Lass uns aber über Deine 1998er-Werke Inexil und Gombe sprechen. Was hast Du mit den beiden Ethno-Platten eigentlich bezweckt?

Einerseits waren es derart intensive Begegnungen mit Menschen, dass ich nach einem kreativen Ventil gesucht habe. Ich wollte diese Eindrücke musikalisch verarbeiten. Andererseits hat es mir aber auch ganz gut in den Kram gepasst, weil ich durch meine Arbeit mit österreichischer Volksmusik ein Image von jemandem habe, dem Tradition wichtig ist. Das stimmt auch. Aber ich wollte, dass das nicht uminterpretiert wird. In die Richtung: Nur weil mir Tradition wichtig ist, ist mir Österreich wichtig. So gesehen kamen mir die Platten gerade recht, um zu zeigen, dass ich den Menschen in Tibet und Tanzania genauso verbunden bin wie den Leuten in Goisern. Nicht mehr und nicht weniger.

Welche bleibenden Spuren haben die Aufenthalte in Tanzania bei Dir hinterlassen?

Mich hat vor allem die Lebensfreude der Menschen in der Region um Kigoma fasziniert, die sie sich trotz der immensen Probleme bewahren. Als ich in Tanzania war, kamen pro Tag tausende Flüchtlinge aus Burundi und Zaire. Damit verbunden waren Hungersnot und Chaos. Wenn man bedenkt, wie in Österreich darauf reagiert wird, wenn ein paar Flüchtlinge kommen. Dort hat die Bevölkerung nichts und dann kommen 1,5 Millionen Flüchtlinge dazu. Bei uns würden sich alle gegenseitig umbringen. Dort wird versucht, alles auf die Reihe zu bringen und nicht einfach zu sagen: Das Boot ist voll. Obwohl ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Das hat mir total getaugt.

Du hast ja einen persönlichen Traum: Ein Kultur-Festival in der Region um Kigoma zu organisieren. Warum?

Ich glaube, man braucht einfach den einen oder anderen Anlass, damit sich Leute treffen. Wenn es wie dort jeden Tag um das nackte überleben geht, dann gibt es natürlich keine Ressourcen, um ein Festival selbst zu veranstalten. Mein Traum ist: Ein Kultur-Festival zu organisieren, wo man zusammenkommt und den anderen über seine Kultur, seine tradierte Identitat kennen und schätzen lernt und die Angst abbaut. Angst ist ja immer auf Unwissenheit über den anderen aufgebaut. Es geht nur noch darum, dass es irgendwer durchzieht. Irgendwann werde ich wieder genug Kraft haben, um es anzugehen.

Danke für das Gespräch.