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BRENNA TUATS TOUR 2012

Groove der Berge

Red Bulletin Juni 2012 | Text: Herbert Völker | Fotos: Maria Ziegelböck (Interview); René Huemer (Konzert)
Hubert von Goisern

Hubert von Goisern ist ein nachdenklicher Mensch. Wenn man ihm ans Fell rückt, formuliert er rasch und punktgenau, es gerät zum akademischen Vergnügen. Draußen, mit ausverkauften Konzerten übers ganze Jahr, ist er mehr denn je ein Naturereignis. Um ihn einzuordnen, werden Phantasien aufgerufen: alpiner Rocker (okay, sagt Goisern), Volksmusik-Rebell (stimmt auch), Guerillero der Musik (bis zu einem gewissen Grad), Rock-Philosoph (uh, bin kein Lederjackentyp), Tom Waits in Lederhosen (bitte nicht). Wir sortieren ein paar Zwischentöne heraus.

Ihr Publikum wird immer jünger, auf jeden Fall in den Konzerten, wahrscheinlich auch im Plattenladen. Erfrischt Sie das?

Dieser Mix ist super, sowohl vom Alter her als auch vom sozialen Background. Da kommen Leute zusammen, die sich sonst nicht auf der Straße oder sonst wo treffen. Das verbindet sich dann bei meinen Konzerten. Es gefällt mir total, dass es nicht nur ein Segment ist, wo eh alle gleich gestrickt und gekämmt sind.

Hubert von GoisernDas soll jetzt nicht in eine Besprechung von Platte (neu: Entwederundoder) oder Konzert ausarten, aber wenn wir einzelne Nummern ein bissl zerpflücken, kommen wir im Endeffekt zur Weite des aktuellen Goisern-Kosmos, abgesehen von den Hardcore-Fans, die sowieso jedes Lied im Gehörgang haben. Okay?

Probieren wir's.

Ein Indianer-Song war längst fällig, endlich nimmt sich auch das Alpenland der Apatschen und Komantschen an. Waren Sie als Kind eher Trapper oder Indianer?

Na ja, es gibt Leute, die teilen die Menschheit in Cowboys und Indianer. Diese Einteilungen sind nicht meine Sache, da gibt's schon sehr, sehr viele Grauzonen dazwischen. Aber ich war natürlich Indianer. Sie stehen im Gegensatz zu den Kolonialisten, die sich mit Waffengewalt alles nehmen. Indianer sind eher Nomaden, die mit den Jahreszeiten wandern. Freigeister aus unserer Sicht.

Heidi ist eine Nummer, die als Jodelrock bezeichnet wird. JODELROCK?

(Trotzig:) Es ist ein rockiger Reggae-Walzer.

Issjagut. Jedenfalls eine Persiflage auf das Leben auf der Alm und den Kitsch, der damit betrieben wird. Die Nummer ist einfach phantastisch, man würde erwarten, dass sie im Radio rauf und runter gespielt wird.

Ich finde, es ist eine sehr schöne, gelungene Melodie auf der Ziehharmonika. Die "Brechung" dieser Nummer – Tag- und Nachtbild –, die checken vielleicht nicht so viele.

Brenna tuats guat – ist das jetzt die neue Hymne der Goisern-Community?

Na ja, Hymne, das weiß ich nicht. Es war lang oben in den Charts und wird viel in den Discos gespielt.

Hubert von GoisernWoran liegt's: am Groove oder an der Botschaft?

Ich finde beides total gleichwertig. Die Nummer wäre mit dem Groove allein nicht dort hingekommen, wo sie ist. Ich spreche sehr vielen Leuten aus der Seele mit dem, was ich da singe. Es ist das, was die Menschen sich denken und spüren, und jemand spricht es aus in Form eines Liedes. Es hat etwas mit Groove und dem alpinen Musizieren zu tun, was da einfach drinnen ist, und auch mit der damit verbundenen Kraft, die da rausbricht. Es ist keine Gesellschaftskritik mit Schaum vorm Mund, sondern eigentlich eine sehr lustvolle Form, etwas wirklich Lächerliches auch so hinzustellen – wie eben die Verbrennung von Lebensmitteln oder die Verarbeitung von Lebensmitteln zu Treibstoff. Es kommt aber nicht so "Wir dürfen nicht, wir sollten nicht"-mäßig daher – sondern es ist eine Tatsachenbeschreibung. Das fährt viel besser ein.

Eine Konzert-Draufgabe mit Hiatamadl – lass uns das ruhig ganz feierlich sagen – macht die Menschen richtig glücklich. Im Herbst haben beide einen runden Geburtstag: Der Goisern wird sechzig, das Hiatamadl zwanzig. Sie selber haben ja zwischendurch den Hype nicht ertragen, zu oft aufs Hiatamadl reduziert zu werden. Haben Sie jetzt Ihren Frieden mit den dicken und den dünnen Wadln gefunden?

Wir spielen es ja nicht jeden Abend. Es ist eine der Nummern, wo es für mich passen muss, weil es hart zu singen ist – bei dieser Nummer musst du voll auf Druck gehen. Am Anfang von einem Set kannst du es nicht spielen, es muss eine der letzten Nummern sein. Da habe ich oft das Gefühl, dass ich es nicht mehr so singen kann, wie ich es singen mag. Wenn ich mich so richtig verausgabe, brauche ich danach zumindest einen day off. Das Hiatamadl hat auch nicht zu allen Besetzungen der letzten Jahre gepasst. Jetzt, mit der wirklich rockigen Formation in dieser Klarheit – jetzt passt es wieder.

Es ist auffällig, dass gerade ein notorischer Vielreisender die Folklore der besuchten Länder nicht in seine Musik hineinverwebt. Der Goisern verschwindet ja doch immer wieder für längere Zeit in der Exotik.

Hubert von GoisernMan muss ja nicht unbedingt ein Curry-Gewürz über ein Schnitzel streuen, nur um diesen Global­Village­Gedanken zu leben. Im Gegenteil, wenn ich wo hinkomme, dann suche ich das Authentische. Ich will dann keinen Beitrag dazu leisten, dass sich das verschmiert und vermischt. Anders ist es, wenn wir irgendwo in der Fremde musizieren. In Mali hatten wir afrikanische Musiker auf der Bühne, an der Donaumündung waren bulgarische Gipsys an Bord, wunderbar. Aber ich importiere diese Erlebnisse nicht in meine Komposition, außer manchmal aus dem Unterbewusstsein, vielleicht.

Der Kraftlackel, der über die Bühne stampft und mit musikalischer Wut die Ziehharmonika traktiert, diesen Kraftlackel gibt es ja unverändert, er ist im Lauf der Zeit weder dicker, grauer, langsamer oder leiser geworden. Bleiben Ihnen die Erfahrungen des Älterwerdens erspart?

Nein, natürlich merke ich das hier und dort, aber das, was mich am meisten stört, ist der Verlust der Naivität. Da ist jetzt dieses Gefühl, zu wissen, wie und was alles geht, die Konsequenzen der Handlungen vor­ aussehen zu können – was oft eh gar nicht der Fall ist. Aber man glaubt, aufgrund der Erfahrung kann man daraus schließen: Wenn ich das tue, dann kommt das raus. Das meine ich mit dem Verlust der Naivität. Das schränkt mich mehr ein, als dass ich halt jetzt nicht mehr so aus dem Stand eine lange Bergtour machen kann, ohne mich vorzubereiten. Ich bin überhaupt kein Vorbereiter. Ich übe nicht gerne meine Instrumente, sondern wenn ich spielen will, will ich spielen, und dann wundere ich mich nur, dass ich blutige Hände habe, weil die Fingerkuppen das halt nicht aushalten.

Die Kraft und die Kondition, kommen die einfach vom Spielen, oder braucht's noch ein extra Programm?

Die Kraft kommt aus dem Spiel, und die kommt beim Berggehen auch aus der Freude, jetzt einfach da auf den Berg zu gehen.

Die Berge werden immer der Mittelpunkt der Goisern-Geografie bleiben?

Ja, schon. Ohne wo hinaufschauen und hinaufgehen zu können, praktisch auch mit jedem Schritt nach oben das Weltliche zurücklassen zu können und dann hinunterzuschauen und alles ist nur ganz klein – die Leute sieht man gar nicht, die Häuser sind klein, Autos hört man nur – das ist etwas, worauf ich ungern verzichten möchte. Ich mag das Meer auch. Ich mag auch die Wüste. Aber Berge, wenn ich die habe, dann fühle ich mich zu Hause – egal ob es im Himalaya, in Ostgrönland oder im Salzkammergut ist.

Hubert von GoisernSie sind ein politischer Mensch, machen aber keine politische Musik.

Politik ist Politik. Ich glaube, jeder, der in der Gesellschaft lebt, lebt auch ein politisches Leben, weil Zusammenleben ist nur möglich, wenn man Rücksichtnahme und Solidarität ausübt. Da gehört es dazu, dass man sich Gedanken macht, wie das Miteinander funktionieren kann oder was halt gar nicht gut ist für das Miteinander. Die Musik ist für mich etwas viel Größeres, als Politik je sein kann. Wenn man Musik politisiert, dann macht man sie kleiner – dann reduziert man sie. Besser wäre es, die Politik musikalischer zu machen.

Ein recht offensichtlicher Goisern-Kulturbeitrag ist die Fähigkeit, dem Traditionellen den Chauvinismus ein bisschen auszutreiben, ihn zumindest zurückzudrängen. Die beiden Begriffe waren ja früher fast deckungsgleich. Jetzt ergeben sich frische Chancen, das aufzulösen.

Wenn das so wahrgenommen wird, dann bin ich glücklich darüber. Für mich geht es um Entgrenzung und nicht Abgrenzung. Tradition hat ja immer eher was mit Abgrenzung zu tun, das fängt da an und hört da auf. Ich mag das löchrig machen, Fenster und Türen raushauen oder teilweise sprengen, ohne dass aber deshalb ein Allerweltsbrei draus wird. Das ist die Angst, die viele Traditionalisten haben.

Nach der Riesen-Konzerttournee dieses Jahres machen Sie zwei Jahre Pause, schreiben eine Oper und einen Roman. Richtig?

Beides ist ein Thema, richtig. Aber mal schauen, was dazwischen die Musik von mir will, und ich von ihr.

Hubert von Goisern

Einer, der Fenster öffnet

Die Furche 10. Mai 2012 | Text: Veronika Dolna | Foto: © Konrad Fersterer

Hubert von Goisern hat sich mit knapp 60 noch einmal neu erfunden. In der FURCHE erzählt er vom Gefühl,
nicht zu wissen wie's weitergeht, seinem Ideenkatalog und vom Jodeln in Grönland.

Hubert von GoisernIn der österreichischen Musiklandschaft ist Hubert von Goisern seit Jahrzehnten eine Fixgröße. Doch erst letzen Herbst landete er mit Brenna tuat's guat einen Nummer-eins-Hit. Seitdem tourt er unermüdlich durch den deutschsprachigen Raum. Für ein Gespräch mit der FURCHE fand er trotzdem Zeit.

Vor Ostern haben Sie eine Tourpause eingelegt und eine Woche in Grönland verbracht. Warum?

In Ostgrönland gibt es einen Südtiroler, Robert Peroni. Er führt dort ein Gästehaus, das gleichzeitig eine Auffangstation für Jugendliche ist, denen die Perspektive fehlt. Und das sind viele dort. Das Leben ihrer Väter als Jäger geht sich für sie nicht mehr aus, etwas Neues gibt es nicht. Die Jugendlichen werden mehr und mehr entwurzelt und die Selbstmordrate ist sehr hoch. Als mir vorgeschlagen wurde, dort ein musikalisches Projekt zu machen, war ich zuerst skeptisch. Ich bin ja kein Sozialarbeiter. Aber wenn dich jemand bittet, über so etwas Gedanken zu machen, kann ich das nicht ausschlagen. Deshalb war ich im letzten September und vor Ostern wieder dort.

Um mit Kindern zu musizieren?

Ja, und wir haben viel Musik gehört miteinander. Ich habe eine große Sammlung an grönländischer Musik, die habe ich mitgenommen, zusammen mit traditioneller Musik aus allen möglichen Kulturkreisen. Es gibt in Grönland praktisch keine traditionelle Musik mehr. Nur dänische und angloamerikanische Popmusik und ein paar Kirchenlieder, die zwar in ostgrönländischer Sprache gesungen werden, aber nicht dort gewachsen sind. Als ich jungen Erwachsenen dann Lieder vorgespielt habe, die ihre Großeltern gesungen habe, konnte man sehen, wie ihnen die Musik einfährt. Sie haben sich dazu bewegt, teilweise gewusst, wessen Vorfahre aus welchem Ort das Lied singt, obwohl sie es noch nie gehört haben. Eigentlich bringe ich ihnen ihre eigene Musik nahe. Und denjenigen, die selber kreativ Musik machen möchten, biete ich meine Erfahrung. Man muss beim Komponieren ja immer aus irgendetwas schöpfen, man erfindet ja nicht bei jedem Lied den tiefen Teller neu. Man braucht Quellen aus der man schöpft, alles kommt aus einer Tradition heraus. Es ist eine Frage der Auswahl.

Sie haben die Quelle freigelegt?

Der Beitrag, den ich leisten kann, ist, dass sie sich damit auseinandersetzen. Ich habe Musikunterricht gegeben und Singstunden, in denen ich mit den Kindern einen Jodler erarbeitet habe, als Beispiel aus unserer Tradition.

Ist Ihnen das gelungen?

Es war auch eine Lektion für mich! Ich wurde daran erinnert, dass Musik für jeden etwas anderes ist. Als ich ein F anstimmte und sie aufforderte diesen Ton nachzusingen, hörte ich so gut wie jede Frequenz, die im Bereich einer Kinderstimme liegt. F war trotzdem keines dabei. Eigentlich wollte ich ihnen in dem Moment am liebsten sagen, vergessen wir's, das wird nichts. Aber Angesichts ihrer strahlenden Augen, brachte ich es nicht übers Herz. Es kostete mich viel Kraft und fast ebensoviel Glaube. Vielleicht half auch die Anrufung der heiligen Rita, das Unmögliche möglich zu machen. Am Ende konnte man jedenfalls, mit etwas Fantasie, die Melodie durchhören. Als ich ihnen zum Abschluss noch das Hiatamadl spielte, sangen sie bei den Jodlerpassagen schon ganz wunderbar und intuitiv mit. Im Jänner möchte ich wieder hinfahren. Ich bin gespannt, was bis dahin hängen geblieben ist.

Reisen ist eines Ihrer großen Lebensthemen. Was fasziniert Sie so daran?

Der Bruch. Wenn du wo hin reist, wo du noch nie warst, musst du ganz wach sein. Du kannst nichts selbstverständlich nehmen. Das mag ich.

Dabei verlässt man komplett seine Komfortzone. Manchen macht das Angst.

Es ist auch für mich manchmal sehr anstrengend. Dann frag ich mich schon: Warum machst du das jetzt? Dann sehne ich mich nach Geborgenheit und einer Tür die ich hinter mir zumachen kann, oder nach einem Wasserkocher, um mir eine Tasse Tee zu brühen. Aber es geht auch ohne das. Und du musst Geduld haben und schauen, was passiert. Ich suche das. Wenn es etwas gibt, wovor ich Angst habe, ist es Routine.

Trotzdem sind Sie immer wieder aus dem Ausland zurückgekommen ...

... bevor dort die Routine einreißt.

Ist Ihnen Heimat, dieser eine Ort "Zu Hause" wichtig?

Ja. Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder auf Reisen gehen kann. Weil es diesen Ort gibt, an den ich mich hinträumen kann, wenn's mir nicht gut geht.

Und Tradition?

Tradition schafft ein Zugehörigkeitsgefühl, aber sie schließt auch andere aus. Wenn ich zu den Tuareg komme, oder zu den Samen, oder zu den Goiserern, und die ziehen sich auf ein "Mir san mir, und das war schon immer so" zurück, dann ist mir das zu wenig. Der Spagat zwischen Tradition und Offenheit ist eine gymnastische Übung, sie hält den Geist gelenkig. Ich mag keine Manifeste, keine Mauern. Ich suche die Fenster und mache sie auf. Ich schau, wo die Mauer brüchig ist, und mach das Loch größer, damit's durchzieht.

Wäre ein "normales" Leben mit Bürojob, Hund und Reihenhaus je für Sie infrage gekommen?

Ich habe versucht, einen normalen Beruf auszuüben, ich habe Chemielaborant gelernt, aber ich bin hoffnungslos darin. In meiner Lehrzeit habe ich das Labor zwei Mal angezündet und ein Mal unter Wasser gesetzt, ich war ein Desaster. Dann hab ich zur Kenntnis genommen, dass das nicht das Richtige ist. Ich bin froh, dass ich die Musik gefunden habe, weil das ein Beruf, eine Berufung ist, die ich nicht als Arbeit empfinde.

Aber das Anecken ist geblieben.

Das ist eine Erwartungshaltung und etwas, das ich abbauen möchte. Dieses Rebellionsgefühl gehört eher zu den jungen Jahren. Bis zu einem gewissen Grad sollte man sich das erhalten, aber es muss mit dem Alter auch ein bisschen Weisheit und Gelassenheit dazukommen. Und ein Verständnis und Mitgefühl für die Leute, die's gut meinen, aber nicht gut machen. Meine Erfahrung ist, dass es nur ganz wenige Leute gibt, die a priori böse sind. Die meisten wissen einfach nicht, was sie tun.

Diese Achtsamkeit und Solidarität, die Sie auch immer wieder besingen, kann man das lernen?

Ich glaube schon. Ich musste mich erst in diese Ausgesetztheit begeben, nicht zu wissen, wie's weitergeht. Wenn man nicht weiß wie man die Miete nächsten Monat zahlen soll, keine Erfolge vorweisen kann, wird man ganz dünnhäutig. Dann bekommt man eine Wahrnehmung und ein Verständnis für Dinge, die über das Materielle hinausgehen.

Jetzt können Sie Erfolge vorweisen: zwei Amadeus Awards, Doppel-Platin fürs neue Album, eine ausverkaufte Tour...

Erfolg ist für mich, wenn es gelingt, eine Idee zur Tat werden zu lassen. Ideen fliegen einem ja immer zu. Man muss nur sensibel genug sein, um sie wahrzunehmen. Sie umzusetzen ist dann noch einmal etwas anderes. Das kann dann auch anstrengend werden. Wenn's aufgeht und funktioniert, ist das ein großes Geschenk.

Hatten Sie denn viele Ideen, die nicht aufgegangen sind?

Eigentlich nicht. Aber ich habe ein paar Ideen in meinem Katalog, die ich noch nicht umgesetzt habe.

Hubert von Goisern: "Geld ist nur ein Werkzeug"

Neue Westfälische 7. März 2012 | Text: Nico Buchholz | Foto: Konrad Fersterer

Bielefeld. Im beherzten österreichischen Dialekt singt Hubert von Goisern auf dem aktuellen Album EntwederUndOder, das in Österreich lange auf Platz eins der Charts stand. Um urige Gemütlichkeit geht es darin aber nicht: Der Alpenrocker lehnt sich auf. Am 13. März kommt er in den Ringlokschuppen. Nico Buchholz sprach mit ihm über Kapitalismuskritik, Dialekte und Schubladendenken.

Hubert von GoisernHerr von Goisern, glauben Sie, dass es in Norddeutschland viele Menschen gibt, die Ihre Texte wegen des österreichischen Dialektes nicht verstehen?

Das kann ich mir vorstellen. Aber es hält sich in Grenzen, wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt. Es ist trotzdem Deutsch. Man muss sich auf den Klang der Sprache einlassen, das braucht natürlich Übung. Dann ist es nicht weit weg.

Man müsste es öfter hören?

Ja und es hilft, wenn man Texte mitliest.

Wie wichtig ist Ihnen, dass Ihr Publikum die Texte versteht?

Mir ist wichtig, dass Texte Geschichten transportieren, die es Wert sind, erzählt zu werden. Ob das jeder genauso versteht, wie ich es meine, ist eine andere Sache. Nur weil man einer Sprache mächtig ist, heißt das nicht, dass man hört, was der Autor sich gedacht hat. Das ist die Freiheit des Hörers. Ich fühle mich in erster Linie als Musiker. Musik hat einen Zauber, der über Sprache hinausgeht, der etwas zum Ausdruck bringt, wo Worte versagen. Das ist das primäre Transportmittel.

In Österreich ist Ihr Hit Brenna tuats guat auf Platz eins geklettert. In Deutschland war er nicht so erfolgreich. Liegt es daran, dass man in Ihrer Heimat die Texte besser versteht?

Ich glaube, das ganze Lied, nicht nur die Sprache, sondern auch die Machart, ist sehr österreichisch. Dort trifft es den Nerv eher als im Norden. In Bayern wird es auch oft im Radio gespielt. Dort hat es einen anderen Stellenwert als in Nordrhein-Westfalen.

Alpenrock, Blues, Volksmusik – wie würden Sie die Musik auf dem aktuellen Album EntwederUndOder beschreiben?

Ich stecke mich nicht in eine Schublade. Wenn ich reduziert werden muss auf einen Begriff, dann ist es der Name, unter dem ich auftrete, "Hubert von Goisern". Ich habe mir eine eigene Schublade erarbeitet. Und selbst die muss ich immer wieder aufbrechen, um das Gefühl der Muffigkeit nicht aufkommen zu lassen.

Mit Reisen durch die Welt haben Sie viele musikalische Einflüsse kennengelernt. Spiegeln sich diese auf dem Album wider?

Es ist viel von dem durchzuhören, womit ich musikalisch sozialisiert bin. Blues hat eine wichtige Rolle gespielt. Die Entdeckung dieses harmonischen und formalen Gerüstes, in das man sein persönliches Lebensgefühl einbringen kann, hat für mich ein Fenster aufgerissen. Ich bin aufgewachsen mit der Neugier nach Traditionen, die anders sind als unsere. Ich hatte nie das Gefühl, dass jene Tradition, in die ich durch Zufall hineingeboren wurde, wichtiger wäre als andere. Aber sie hat mich geprägt und ist Teil meiner Welt, darum ist sie auch Teil meines Schaffens.

Was bedeutet Ihnen der Erfolg Ihres ersten Nummer-eins-Hits?

Es ist eine Bestätigung, aber ich habe nicht darauf hingearbeitet. Schon Anfang der 90er Jahre wurde meine Musik oft im Radio gespielt, damals war's das Lied Hiatamadl. Ich habe das Gefühl, seither schwimme ich oben. Dass das noch einmal zum Ausdruck gebracht wurde, indem ich Platz eins eroberte, ist gut für mein Umfeld und für meine Band. Für die freue ich mich. Meine persönliche Nummer eins war die Linz-Europa-Tour. Die hat einen unvergleichlich höheren Stellenwert, als ein paar Wochen in den Charts zu stehen.

Bei der Tour sind Sie zwischen 2007 und 2009 mit Schiffen über europäische Flüsse gefahren und haben Konzerte gespielt. Was war daran für Sie besonders?

Es war eine Vision, Menschen über Musik zusammen zu bringen und Grenzen aufzulösen. Als sich Europa nach Osten öffnete, war das nur auf dem Papier eine Grenzverschiebung. In den Köpfen hat sie noch nicht stattgefunden. Ich wollte einen persönlichen Beitrag zur Entgrenzung und zum Einanderkennenlernen leisten. Wir haben damit gezeigt, dass es möglich ist, Träume wahr werden zu lassen.

In Brenna tuats guat heißt es, Geld kann man nicht essen, aber brennen tut es gut. Eine Kapitalismuskritik?

Es ist Tatsache, dass sich fast alles ums Geld dreht. Das Geld ist aber nur ein Werkzeug. Es ist, als würde sich der Tischler nur mit dem Hobel beschäftigen oder der Schriftsteller nur mit Bleistift oder Laptop. Das sind auch nur Werkzeuge. Aber Geld wird so zum Artikel erhoben, zum Ende der Fahnenstange. Das ist krankhaft. Egal wie viel Geld du hast: Die wesentlichen Dinge kannst du dir nicht kaufen. Wenn du ein Buch lesen willst, musst du es selbst lesen. Du kannst viele Leute bezahlen, um es für dich zu lesen, du wirst es aber nicht selbst gelesen haben. Wenn du auf einen Berg möchtest, kannst du dich mit einem Hubschrauber hinauf fliegen lassen. Aber du weißt, wenn du aus dem Hubschrauber steigst: Es ist nicht das selbe, als hättest du den Berg erklommen. Inzwischen denke ich, kann es nicht mehr schlimmer werden. Ich würde mich nicht als Wutbürger bezeichnen, der das rauskotzt, aber Unzufriedenheit mit der Politik ist ein Thema. Dieser Blödsinn, Lebensmittel in Treibstoff umzuwandeln, obwohl wir wissen, dass jeden Tag tausende Menschen an Hunger sterben, ist doch absurd. Diese Fassungslosigkeit habe ich in den Text gepackt.

Wie politisch sind die anderen Songs des Albums?

Ich bin ein politischer Mensch, aber ich mache keine politische Musik. Ich sehe keines meiner Lieder als politischen Song. Wenn ich Texte schreibe, ist es mir wichtig, dass in den Köpfen der Zuhörer Bilder und Stimmungen entstehen.

Der Exorzist der Volksmusik

News 05/2012 | Text: David Pesendorfer | Fotos: Ricardo Herrgott
Hubert von Goisern

Hubert von Goisern - Mit fast 60 Jahren schrieb er Brenna tuats guat.
Die Hymne der Wütburger wurde seine erste Nummer eins.

Am 12. Oktober 2008, dem Tag nach Jörg Haiders Tod, saß Hubert von Goisern allein in einem Dresdener Hotelzimmer. "Ich werde ihn also doch nicht mehr treffen", war sein erster Gedanke. Und plötzlich war da trotz Antipathie auch das Gefühl, etwas versäumt zu haben: die persönliche Auseinandersetzung mit einem Stück Heimat.

Hubert von Goisern, mit bürgerlichem Namen Hubert Achleitner, ist dem um knapp drei Jahre älteren FP-Führer nicht ein einziges Mal persönlich begegnet, obwohl sein Großvater und der Haider-Vater daheim in Bad Goisern gute Freunde und unerschütterliche Gesinnungsgenossen waren.

Ein Ort mit gerade einmal 7.500 Einwohnern und gleich zwei wandelnden Wahrzeichen: da der radikale Rechtspopulist, dort der liberale Weltenbummler. Zwei, die dennoch stets ein Feld beackerten: die Tradition.

"Ich versuchte, den Müll abzutragen, die verkrustete Scholle aufzureißen und zu pflügen", erzählt Goisern im NEWS-Interview von seiner Anstrengung, die punzierte Volksmusik zu erneuern. "Doch mittlerweile habe ich mich freigespielt."

Freigespielt vom Klischee, bloß Haiders musikalischer Antipode zu sein. Freigespielt aber auch von der Reduktion auf seinen ersten Hit Hiatamadl, unter der Goisern jahrelang litt.

Konsequent habe er jenen Teil des Publikums, der Party machen statt zuhören wollte, der Hallen verwiesen. Oft sogar lieber in Deutschland gespielt, wo man ihn als rustikalen Underground-Poeten hofierte, nicht wie hierzulande als willkommene Mitgröl-Vorlage.

Feuer, Gold & Platin. Goisern wandte sich internationalen Projekten zu, schipperte mit einem Wohnschiff samt Konzertbühne erst von Linz ans Schwarze Meer, dann von Linz bis an die Nordsee, spielte an Ufern und in Häfen mit hochkarätigen Gastmusikern wie Xavier Naidoo, BAP oder Konstantin Wecker. Heimat, das war für Goisern längst nicht mehr nur Österreich, sondern alle Orte, wo er sich "einbrachte und mitredete".

In der zweiten Hälfte des Vorjahres meldete er sich dann doch im Geburtsland zurück. Und wie: Sein kapitalismuskritischer Protestsong Brenna tuats guat avancierte zur Hymne der Wutbürger – und zum ersten Nummer-eins-Hit des mittlerweile knapp 60-Jährigen. Zehn Wochen lang hielt sich die Nummer in den Charts, fünf davon an der Spitze. Das flankierende Album Entwederundoder wurde mit Gold und Platin ausgezeichnet.

Goisern ist wieder Massenphänomen, sein Hit landete auf dem Wege der Zweitverwertung flugs auf Après-Ski-Compilations zwischen Peter Wackel (Joana, du geile Sau) und DJ Ötzi (Ring the Bell). Früher hat Goisern die Gröler noch vor die Tür gesetzt. Heute hat er sie in die Skihütten ausgelagert.

Das große Interview über neue und alte Volksmusik, dumpfe Nebengeräusche und nationalistische Goisern-Fans.

Herr Goisern, Herr von Goisern, Herr Achleitner, wie spricht man Sie richtig an?

Das kommt darauf an. Herr Goisern klingt komisch, Herr von Goisern noch komischer. Achleitner, das hat für mich eine Vertrautheit, eine Privatheit. Der Goisern ist ein Teil vom Hubert Achleitner, aber umgekehrt nicht, da besteht keine Schizophreniegefahr. Es ist gut für mich, dass es diese Unterscheidung gibt.

Um nicht an den Zynismen des Pop-Biz zu zerbrechen?

Ich bin nicht im Pop-Business, ich bin Musiker und sehe das als Berufung. Und – Musik, die ist nicht zynisch, sondern gut oder nicht gut.

Alpenrocker, Volksmusikrebell, Tom Waits in Lederhosen – die kursierenden Goisern-Klischees nerven Sie gar nicht?

Vor 15, 20 Jahren war ich für viele noch der Zünftige aus den Bergen, der halt mit der Ziehharmonika spielte. Aber das sind nicht meine Schubladen, sondern die der anderen. Damals sind viele Leute in meine Konzerte gekommen, weil sie das Hiatamadl im Radio gehört haben, und waren dann verstört, dass da auch was anderes abläuft. Viele sind nur gekommen, um eine Party zu feiern, ich, um ein ordentliches Konzert zu spielen. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, das habe ich ihnen beibringen müssen. Nach der zweiten, dritten Nummer habe ich gesagt: "Gehts raus ins Auto, hörts Ö3, da wird vielleicht gerade das Hiatamadl gespielt, hier wird es in genau 55 Minuten gespielt." Inzwischen habe ich mir aber doch einen anderen Stellenwert erarbeitet, mich von den Klischees freigespielt.

Abend spat war eines von Hitlers Lieblingsliedern. Sie haben es neu interpretiert – ist Musik denn völlig unpolitisch?

Musik ist a priori unpolitisch und unschuldig. In dem Moment, in dem sie politisiert wird, verliert sie an Kraft und Zauber. Das ist eher ein Exorzismus, den ich da betreibe. Das ist ein schönes, lässiges Lied, und ich kann doch nicht sagen: Nur weil der Verbrecher das mögen hat, soll es für alle anderen tabu sein.

In einem "FAZ"-Interview meinten Sie, 20 Prozent Ihres Publikums kämen aus der rechten Ecke. Muss man als jemand, der auf Traditionen baut, eben in Kauf nehmen, missverstanden oder missbraucht zu werden?

Erstens freue ich mich über jeden, der meine Musik hört, selbst über die, die sie illegal aus dem Netz runterladen. Und zweitens: Ja, es gibt eine Ecke, in der ich mich selbst nicht sehe, die aber sehr wohl einen Bezug zu mir hat. Ich finde es spannend, wenn Menschen, die sich sonst vielleicht spinnefeind wären, für zwei Stunden derselben Musik zuhören. Ihr müsst erst eine Waschung machen, bevor ihr in meine heiligen Hallen dürft – so was mag ich nicht! Sobald meine Musik rausgeht, möchte ich mich weder um sie kümmern noch ihr politisches Regulativ sein. Ich halte Politik zwar grundsätzlich für notwendig, aber Parteipolitik für etwas, das die Menschen trennt. Diese Grabenschaufler sind mir zutiefst zuwider.

Hubert von GoisernGrabenschaufler?

Der Strache ist so ein Grabenschaufler.

Dabei hielten Sie den zunächst für gar nicht so gefährlich wie den Haider.

Der Meinung bin ich noch immer, er hat nicht dasselbe Kaliber. Dennoch trifft auf ihn ein Wort von Karl Kraus zu: "Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen selbst die Zwerge lange Schatten." Und der Schatten, den Strache wirft, ist schon ziemlich mächtig.

Auch Haider stammt aus Ihrem Heimatort Goisern, sein Vater und Ihr Großvater galten als gute Freunde. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von Haiders Tod erfahren haben?

Ich dachte: Jetzt werde ich ihn nie treffen. – Der verstorbene News-Journalist Peter Leopold hat mich einmal gefragt, ob ich zu einem Round Table mit ihm bereit wäre. Ich dachte, das brauche ich wirklich nicht. Dennoch sagte ich zu, weil ich nicht kneifen wollte. Doch dann hieß es: "Der Haider hat abgesagt. Wenn du dabei bist, dann kommt er nicht." Da dachte ich mir: Aha, der hat Angst, noch viel mehr Angst als ich. Und ich wusste, warum: Zu viele Leute, die seine Wähler waren, stehen auch auf meine Musik. Und wenn er sich mit mir anlegt, ist die Gefahr groß, dass er die verliert. Trotzdem, ich hätte ihn schon gern irgendwann einmal getroffen.

Haiders Papa, Ihr Großvater – wie verstörend war denn dieses rechte Milieu?

Diese Ideologie hat außer meinem Opa mütterlicherseits niemand vertreten. Und auch er nicht stramm, sondern eher vernebelt. Außer bei den Geburtstagsfeiern meines Großvaters, wo auch Haiders Vater eingeladen war. Das waren die Momente, wo man als Junger gerne erfahren hätte, was in der Kriegszeit passiert ist, aber das war damals tabu. Mit 16, 17 habe ich dann den Finger in diese Wunde gelegt – meinem Großvater war das sichtlich unangenehm, aber der alte Haider hat mir ins Gesicht gelacht und gemeint, die Geschichte werde ihnen, den Nazis, noch Recht geben. Dennoch, über meinen Großvater, Friede seiner Seele, möchte ich nicht richten, er war ein herzenswarmer Mensch und schwer gezeichnet von der Teilnahme an den Weltkriegen und der Vertreibung seiner Familie aus dem Sudetenland. Aber eben vom Rassismus verseucht.

Ihr Vater war SPÖ-Mitglied, Ihr Onkel roter Gemeinderat. Wie geht's Ihnen denn mit der Linken von heute?

Wie geht's mir? Net guat. Ich habe es nie verstanden, dass die SPÖ Agenden wie etwa das Außenministerium sausen lassen hat. Natürlich muss man in einer Koalition dem Partner Bewegungsspielraum geben, aber im Grunde genommen ist es für mich ein Armutszeugnis, dass sie die Kernministerien abgegeben haben. Wo ist denn die Solidarität, für die die Linken früher standen? Österreich ist ein großartiges Land, ein reiches Land. Umso fassungsloser bin ich, dass es hier Armut gibt, fassungslos, dass es in einer so reichen Stadt wie Salzburg an die 100 obdachlose Jugendliche gibt. Die Politik muss sich dieser Schere annehmen – wenn's sein muss, auch durch Steuererhöhungen für die Reichen, zu denen ich ganz sicher zähle.

Damals, daheim in Goisern, was war Ihr erstes wirklich prägendes Musikerlebnis?

In meiner Kindheit ist Österreich Regional gelaufen, da sind operettenhafte Sachen hängengeblieben, Lehár-Melodien, Fritz Wunderlich. Mit zwölf Jahren dann ein richtiger Tuscher – Chuck Berrys Rock 'n' Roll Music, gespielt von den Beatles! Da bin ich bei der Suppe gesessen, und auf einmal macht's: da-da-da-da! Da ist mir der Löffel aus der Hand gefallen, ich war wie erstarrt! Mein Vater hat gesagt: "Hört sich an, wie wenn die Platt'n hängenblieben wär." Da wusste ich, das ist meines. Auch weil er nix damit anfangen konnte. Weil das meine Welt war.

Ursprünglich kommen Sie ja von der Blasmusik – lernt man dort was fürs Leben?

Meine Eltern hatten nicht das Geld, mir ein Instrument zu kaufen. Da bin ich mit zwölf zur Blasmusik und habe gesagt, ich würde gerne Trompete spielen. Das war ein Instrument, das hat mir getaugt, so strahlend und glänzend und laut. Die haben mir dann einen Lehrer zugeordnet, dem ich noch heute unglaublich dankbar bin. Der hat nichts gekostet, war einfach der erste Trompeter in der Kapelle. Ich war ein fauler Hund, ich wollte Musiker sein, nicht Musiker werden und habe nie geübt – doch er war mir nie böse. In der Kapelle gab es dann aber doch einige Zwistigkeiten. Da war immer das Gesudere, ich soll mir doch meine langen Federn abschneiden – was dann dazu geführt hat, dass ich zurückgesudert habe. Darüber, dass sie immer dasselbe spielen und aus Bequemlichkeit nie ein neues Stück ins Repertoire aufnehmen.

Hätte man Sie nicht rausgeworfen, was wäre wohl aus Ihnen geworden?

Es kam Gott sei Dank der Moment der Erkenntnis, sonst wäre vielleicht ich jetzt der Kapellmeister. Oder ich wäre verzweifelt und hätte die Musik überhaupt aufgegeben. Doch als sie mich rausgeschmissen haben, ist eine Welt für mich zusammengebrochen.

Sie gelten als harmoniebedürftig, andererseits als Querdenker – ist das ein Dilemma?

Ja, das kann man wohl so sagen.

Mit knapp 60 Jahren die erste Nummer eins – wie fühlt sich das an, in einem Alter, wo andere an die Pension denken?

Wenn sich jetzt der eine oder andere Frühpensionist denkt, vielleicht sollte ich doch noch was arbeiten, dann ist es ein schöner Effekt. Meine ganz persönliche, wirkliche Nummer eins war aber die Linz-Europa-Tour – dass das aufging, ist so ein geiles Gefühl, so eine Bestätigung. Fünf Wochen Nummer eins, das ist zwar ein schöner Lohn, aber hingearbeitet habe ich nie darauf.

Wie ist Ihr aktueller Chartserfolg zu erklären?

Mit Brenna tuats guat verkünde ich der Gesellschaft ja nichts Neues, spreche ihr aber dennoch aus der Seele. Das dürfte schon über Mundart und Sprache laufen. Beides ist unverkennbar österreichisch und hat einen guten Groove.

Kann einem denn Musik Heimat geben?

Sehr wohl, es gibt eine akustische Heimat, da gehören die Klänge dazu, die uns umgeben. Heimat – das ist für mich überall dort, wo ich mich einbringe, wo ich mitrede, gestalte. Wenn ich wo nur zuschaue, wird es nie Heimat werden.

Was empfinden Sie für Ihre Heimat?

Heimat kann mich verzaubern, aber auch gruseln, Heimat, das kann auch vertrauter Grusel sein.

Wie kann man Tradition von gruseligen Chauvinismen befreien?

Mir ist bewusst, dass das sehr, sehr schwierig ist. Wenn ich über Heimat nachdenke, fallen mir spontan meine Reisen nach Timbuktu ein zu den Tuareg oder nach Lappland zu den Samen, die alle eine sehr starke Identität ausdrücken mit ihren Liedern, Gesängen und Kleidern. Wenn du keiner von denen bist, gehörst du einfach nicht dazu, bist ein Fremdkörper. Ich mag das nicht, dass ich mich gleich anziehen und den gleichen Hut tragen muss, damit ich dazugehöre. Tradition hat immer etwas Ausschließendes in sich, und das ist beklemmend. Auch wenn sie etwas ist, das den Menschen ganz unbestritten Halt gibt. Wenn jemand anderer draußen ist, gibt es denen, die drinnen sind, ein wohliges Wir-Gefühl.

Bad Goisern, ist das für Sie noch Heimat?

Ich habe eine Hand voll wirklich guter Freunde dort. Es gibt aber sicher zwei oder mehr Hand voll, die mit mir weniger anfangen können, aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass mir Respekt entgegengebracht wird. Früher gab es Leute, die sich über meine Art zu musizieren aufgeregt haben – aber die trauen sich jetzt nicht mehr. Die Gesellschaft ist offener geworden, und es gibt dieses Gefühl nicht mehr: "Es hört uns eh keiner, wenn wir einen Blödsinn reden." Alle hören alles. Das macht es schwerer, einfach nur blöd daherzureden.

Abgesehen von der Vereinnahmung durch die Nazis – was hat der Volksmusik am meisten geschadet?

Der volkstümliche Schlager. Früher habe ich versucht, den Müll abzutragen, die verkrustete Scholle aufzureißen und zu pflügen. Ich glaube, der eine oder andere Samen ist dabei schon aufgegangen.

Wenn Sie die Ernte gesamtheitlich betrachten – wie geht es Ihnen damit, Leuten wie Andreas Gabalier oder DJ Ötzi den Weg geebnet zu haben?

Ich mag niemandem das Recht absprechen, Gabalier zu mögen. Ohne Substanz hält sich keiner langfristig. Ich bin und bleibe ein Freund von Biotopen und ein ausgewiesener Gegner von Monokulturen – denn die führen dazu, dass der Boden erneut austrocknet.

Goisern: Nicht nur die "Schokoladenseite"

Kurier 14. Januar 2012 | Text: Brigitte Schokarth | Foto: © Jürgen Skarwan
Hubert von Goisern

Hubert von Goisern geht mit seinem Erfolgsalbum "Entwederundoder"
und der Hitsingle Brenna tuats guat auf Österreich-Tour.

"Ich bin beim Träumen nicht zurückhaltend. Aber darauf, an die Spitze der Charts zu kommen, wäre ich in meinen kühnsten Träumen nicht gekommen."

Fünf Wochen lang hielt sich Hubert von Goisern mit der Single Brenna tuats guat im Herbst 2011 auf Platz eins, den er nicht einmal 1992 mit seinem Durchbruchs-Hit Koa Hiatamadl erreicht hatte. So ist der Oberösterreicher, der sich erst mit 27 entschied, Musiker zu werden, mit 59 am Höhepunkt seiner Karriere. Denn auch Entwederundoder, das Album, aus dem Brenna tuats guat ausgekoppelt wurde, verkaufte sich 20.000-mal.

Im Dezember wurde Goisern mit Platin für diese Platte ausgezeichnet, die er als direkte Reaktion auf seine Donau-Tour sieht. Für diese charterte er ein Schiff, bereiste damit von 2007 bis 2009 Donau und Rhein und spielte an den Ufern Konzerte mit örtlichen Musikern.

Intim

"Um all diesen Künstlern ein Forum zu geben, habe ich mich dabei sehr zurückgenommen", sagt er im KURIER-Interview. "Dadurch kam die Sehnsucht, die neuen Songs klein, intim und persönlich werden zu lassen. Kleine Mosaiksteinchen, die im Gesamtbild meine Persönlichkeit zeigen."

Politisch wie in Brenna tuats guat wird von Goisern dabei selten. "Ich zeige mich nicht nur von meiner Schokoladenseite, sondern auch wütend und aggressiv. Da gibt es schon ein paar Nummern, die springen dir mit dem Oasch ins G'sicht. In Suach da an andern oder I versteh di nit, sag ich anderen Personen sehr deutlich, was ich mir denke."

Mit viel Humor, denn "ich bin ja ein versöhnlicher Mensch". Überhaupt spielt Wortwitz in den Songs von Entwederundoder eine größere Rolle als bisher. "Ich bin im Alltag eigentlich nicht so ein Witziger. Aber je ernster die Lage ist, desto mehr Humor kann ich an den Tag legen. Und diese Lieder sind alle so kleine, in sich geschlossene Kosmen, dass es mir da auch leichter fällt."

Blues, Punk, Pop

Musikalisch ist von Goisern mit seinem Erfolgsalbum genauso vielfältig wie in den Songthemen. Es gibt Blues und Punk, Pop, Bar-Jazz und natürlich Volksmusik. Ab 25. Jänner ist Hubert von Goisern mit dieser Mischung und all seinen alten Hits wieder auf Österreich-Tournee. Eine Konzertreise, auf die er sich nach dem Hitparaden-Erfolg besonders freut: "Es ist so schön, diese Anerkennung zu erfahren, ohne etwas anders gemacht zu haben als bisher."