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GRENZENLOS TOUR 2002

Interview mit dem Ausnahmekünstler

Bietigheimer Zeitung 7. Juni 2002 | Text: Gabriele Szcegulski

Er gilt als einer der intelligentesten Musiker und Künstler der deutschsprachigen Szene. Er vereinigt den Begriff "Weltmusik" wie kein anderer in seinen Liedern.

Hubert von Goisern ist ein Mann mit Charisma, der, ohne arrogant zu wirken, konsequent seinen Weg verfolgt. Der Musiker kommt mit seiner Band am Samstag, dem 6. Juli ab 21.00 Uhr, zum Open-Air in den Ludwigsburger Schlosshof.

Mit seiner Musik, die er seinen eigenen - österreichischen - Wurzeln verschrieben hat, passt er gut in das Konzept der verbindenden Weltmusik der Schlossfestspiele. Hubert von Goisern, bürgerlich Achleitner, hat auch von sich reden gemacht, weil er ausgiebige Konzertreisen, in den Tibet, Ägypten und Afrika macht und sich mit der Kultur dort auseinandersetzt. Gerade kam er von einer Reise nach Westafrika zurück. Noch ganz unter diesen Eindrücken stehend, gab er unserer Zeitung ein Interview.

Sie sind gerade von einer Tournee durch Westafrika zurückgekommen. Hat das irgendwelche Auswirkungen auf die Tour und das Konzert in Ludwigsburg?

Noch sind die Eindrücke ganz unmittelbar. Die laufende Tour durch Deutschland, Grenzenlos, wird so über die Bühne gehen, wie geplant. Die CD dazu wird im Nachhinein produziert. Es wird in Ludwigsburg dasselbe Programm geben, das ich schon in Ägypten und Afrika gespielt habe.

Was wird es zu hören geben?

Zur Hälfte etwa das Programm, das ich voriges Jahr gespielt habe, und zur anderen Hälfte das ganz neue Programm. Insgesamt ist unser Repertoire lauter und schneller als bisher. Extrovertierter, tanzbarer.

Ist die Band noch dieselbe wie bei der letztjährigen Tournee?

Nicht ganz, der Schlagzeuger spielt jetzt Percussion und steht damit auch am Bühnenrand, hat mehr Bewegungsfreiheit, damit hat er auch mehr Kapazitäten frei zum Singen, er ist ein toller Sänger. Es gibt einen anderen Gitarristen und eine neue Geigerin. Die einzige Frau, die es lange mit mir aushält, ist meine Frau.

Ihre Musik wird auch gerne Weltmusik genannt. Warum?

Vielleicht, weil ich viel reise, mich vielen anderen Kulturen aussetze und auch die musikalischen Originalumstände dort kennen lernen will, Musiker treffen will und gemeinsam mit denen musizieren. Ich stehe aber mehr und mehr zu meiner eigenen Tradition. Die Art und Weise, wie ich musiziere und meine Rhythmik, das kommt von dahoam, das bin ich.

Egal, ob ich in Dakar oder wo auch immer spiele, ich habe ein gutes Gefühl dabei, auch wenn das Publikum erstmal mit einem großen Fragezeichen gegenüber steht. Es stimmt einfach für mich, da kann ich mit Selbstbewusstsein hinstehen und sagen, das bin ich.

Wie reagieren die Zuhörer in diesen Ländern?

Zuerst einmal natürlich mit Skepsis. Am wenigsten reagieren sie dann, wenn wir in Hallen spielen, das kennen die Leute gar nicht. Da sitzen dann ein paar Diplomaten und wissen nicht so recht, was sie machen sollen.

Am schönsten ist es, wenn wir dahin gehen, wo die Leute leben. Dann singen die mit, tanzen, man bekommt Kontakt. Und sie erken-nen auch, das ist meine Musik, genauso, wie sie die ihre haben. Es geht mir um die Kommunikation, darum, seinen Standpunkt zu verlassen und sich einzulassen auf anderes, ohne blind aufzusaugen.

Wie schlagen sich diese Begegnungen auf Ihre Musik nieder?

Unterschiedlich. Oft nehme ich irgendwann ein Lied auf, oder komponiere und dann denke ich mir, oh je, das kommt mir aber afrikanisch vor, dann schmeiß ich es entweder raus, weil es sich abgeschaut anhört oder ich verändere es so, dass es passt.

Ich kann keine afrikanische Musik machen, weil ich kein Afrikaner bin. Ich bin Österreicher, da sind meine Wurzeln. Aber natürlich haben diese Reisen Auswirkungen auf meine Musik, weil sie mich als Person bereichern.

Ist es nun ein großer Unterschied dahingegen im Ludwigsburger Schlosshof zu spielen?

Bestimmt, aber genau davon leben wir, von der unterschiedlichen Bereicherung durch das Publikum nur so kann man kulturelle Brücken schlagen, zwischen den Völker, zwischen den verschiedenen Nationalitäten, aber auch sozialen Schichten.

Es ist schön, wenn meine Musik von den unterschiedlichsten Leuten gemocht wird. Das ist meine Intention, Brücken zu schlagen zwischen den Menschen. Ihre Persönlichkeit, mit allem, was sie ausmacht, zu erkennen, zu tolerieren. und zu versuchen, mit ihnen durch die Musik zu kommunizieren.

Deshalb freue ich mich sehr auf diese Atmosphäre. Wir spielen bei so vielen verschiedenen Anlässen, aber bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen aufzutreten, hat schon seinen Reiz, auch wenn wir nicht ganz genau wissen, wie das Publikum auf uns reagiert Aber das ist ja auch schön, diese Aufgeregtheit vor jedem Konzert.

Hubert von Goisern - der Junkie

Müller for Music Oktober 2002 | Text: Werner Pilz

Ein paar Tage allein in den Bergen - nur mit dem Schlafsack unterwegs - hat er sich gegönnt. Jetzt, Anfang Oktober, macht er mit den Wiener Sängerknaben einen Sing-Workshop für ein paar tausend österreichische Schüler und Schülerinnen. "Die Schranke aabzubauen, dass man nur singen soll, wenn man es wirklich gut kann, dazu würde ich gern einen Beitrag leisten."

Hubert von Goisern leistet ständig Beiträge. Der verschiedensten Art. Unter seinen letzten Platten befanden sich eine Kollaboration mit westafrikanischen, eine mit tibetanischen Musikern, danne eine Bluesplatte, soebe ist das vom Funk inspirierte Album Iwasig (Blanko/Virgin) erschienen. Dem alpinen Volkslied ist er sowieso verpflichtet, mit den Alpinkatzen befreite er einst alpenländische Folklore vom reaktionären Mief der Stammtische. Anfang des Jahres fügte er seinen Unternehmungen eine - ziemlich spontan organisierte - musikalische Reise nach Ägypten, Burkina Faso und auf die Kapverden hinzu. Undsoweiter. Ist er der Reinhold Messner der Volksmusik, der nicht ruht, bis er jeden Achttausender bestiegen hat? "Die Achttausender, die kann man zählen, da gibt es nur 14 davon," sagt Goisern schmunzelnd. Wir sitzen auf einem Kanapee im ehrwürdigen Bayrischen Hof in München. Seine Plattenfirma Virgin feiert ihr 20jähriges und er wird am Abend vor Bryan Ferry und Peter Gabriel auftreten. "Ich habe das Gefühl, das zieht mich was," fährt er fort. "Ich müsste wirklich was durchschneiden, dass dieser Zug weg ist."

Herumgespült

Goisern spricht ruhig, langsam, konzentriert. Als Kind hatte er das Gefühl, den Anforderungen nicht zu genügen. Am liebsten setzte er sich in den Wald, "um nur zu schauen und zu hören." In der Pubertät wurde es ihm schließlich zu eng in der oberösterreichischen Heimat. "Da hat es mich hinausgetrieben. Seither spült's mich herum." Fast immer enstehen Goisern'sche Projekte aus Begegnungen mit Menschen. Aus dem Bedürfnis, mehr als nur Minuten zwischen Tür und Angel zu verbringen, den Austausch künstlerisch zu manifestieren. Deshalb reist Goisern gern - allein. "Mein Sinne und meine Wahrnehmung sind viel schärfer, wenn ich irgendwo hingehe, wo ich mich nicht auskenne, wo ich zuhören muss, damit ich einen Platz zum Schlafen finde. Dann fange ich an, alle sinnlichen Ressourcen auszuschöpfen, die ich habe. Vielleicht ich bin ein Junkie."

Lauter, schneller, extrovierter

Auf der neuen Platte Iwasig hat er die Intimität preisgegeben, die zuletzt die Fön und die Trad besaßen. "Während der Fön-Tour bin ich durch die Auftritte in ein neues Lebensgefühl hineingerutscht, bin aus der introvierten Phase herausgekommen. Deshalb habe ich begonnen, in den Pausen neue Songs zu schreiben. Lauter, schneller, extrovierter."

Herausgekommen ist eine Platte, die sich stark an Funk orientiert. "Seit ich mit den Alpinkatzen '94 aufgehört habe, wollte ich eine Soulfunk-Platte machen," gibt Goisern zu. "Dass das so lange gedauert hat, wundert mich selber." Auch die Achttausender sind noch nicht bezwungen.

"Die Schweiz, die mag i"

Blick 8. Oktober 2002 | Text: Barbara Ryter | Foto: ActionPress

HvGZürich - Er rockt, jodelt und jauchzt, spielt virtuos auf seiner diatonischen Ziehharmonika und ist auch in dicken Wollsocken ein Charmeur erster Klasse: Hubert von Goisern (49)

"Am frühen Morgen habe ich bei Sprüngli Schokolade für meine Familie gekauft", erzählt Hubert von Goisern (geboren als Hubert Achleitner). Er streicht sich durchs volle, braune Haar und fläzt sich - wohltuend erfrischend für einen Star - in roten Trainerhosen und dicken Wollsocken auf dem Sofa.

Vor 15 Jahren hat der sympathische Österreicher mit den Alpinkatzen die Volksmusik vom Moik'schen Musikantenstadl-Image befreit - 1994 machte er den letzten Jauchzer. Nun feiert er sein Comeback. Sein neues Werk: Iwasig (Betonung auf dem ersten i), was so viel wie "drüber" heisst. "Ich bin schon ein bisserl abgehoben und durchgeknallt, wenn ich auf der Bühne stehe", schmunzelt Hubert. Das von Goisern stammt von seinem Heimatort Bad Goisern - dem Ort, wo auch Rechtspopulist Jörg Haider herstammt.

Hubert von GoisernHubert versteht sich als kultureller Brückenschlager, reist gerne hinaus in die Welt und singt konsequent im (für die meisten schwer zu verstehenden) Salzkammergut-Dialekt. Dieses Jahr kamen 15000 Studenten im oberägyptischen Assiut sowie Bewohner der Slums von Dakar in den Genuss eines Konzertes. Von Goisern: "Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke."

Aber nicht nur ferne Länder, sondern auch die Schweiz hat es dem Alpinrocker angetan: "I mag die Schweiz. Ihr habt ein Privileg, weil ihr eure Eigenständigkeit bewahrt habt. In Österreich stecken wir tiefer drin." Sogar unsere Landesausstellung hat er mit Frau Hildegard (geheiratet wurde erst vor drei Jahren, "einfach so") und den Kindern Niko (14) und Laura (9) besucht. "Am besten gefiel mir die Wolke in Yverdon", so Hubert von Goisern.

Mitte November wird der Charmeur - ohne ein einziges graues Haar auf dem Kopf - 50. Sein Rezept? "Ich lebe jeden Tag intensiv. Ob ich weiser werde? Nein, mit dem Alter verliert man einfach Stück für Stück an Naivität. Gehäutet habe ich mich im Leben schon mehrmals."

Und der Berg ruft doch

Hannoversche Allgemeine Zeitung 18. November 2002 | Text: Jens Flosdorff

Grenzenlos: Der Alpenrocker Hubert von Goisern ist nach langer Pause wieder auf Tour

Wenn ein Musiker mit dem Attribut "Alpenrocker" seine Band an den Nil verfrachtet, um vor 15000 Pharaonensöhnen ein neues Programm zu erproben, ist er entweder durchgeknallt oder Hubert von Goisern. Der Weltmusiker aus dem Salzkammergut startete seine Tournee Grenzenlos Anfang März im oberägyptischen Assiut. "Das war für die Ägypter schon ziemlich exotisch", sagt der experimentierfreudige Barde aus den Bergen. Er habe aber einfach mal zu den Leuten kommen wollen, die sonst überhaupt keine Chance hätten, diese Art von Kultur zu erleben.

Jetzt gibt von Goisern wieder Konzerte vor Fans, die nicht nur die Jodler, sondern auch seine Texte verstehen. Sechseinhalb Jahre hörten Hubert von Goiserns deutschsprachige Fans zumindest musikalisch nichts Neues - bis dann im Juli die Single Poika erschien. Im September folgte das Album iwasig. Und heute präsentiert er sein neues Tourneeprogramm Grenzenlos in Berlin. Tags darauf, morgen, steht er auf der Bühne des Capitol in Hannover. Von Goisern, der einst mit seiner Band Alpinkatzen und Hits wie Hiatamadl oder Heast as nit... den Durchbruch schaffte, singt natürlich einige bekannte Nummern von seinen Alben Fön und Trad, aber auch viel Neues im Mix mit Latin-Elementen.

Die lange Auszeit hat von Goisern verändert. Schmal ist er geworden. Die Haare trägt er nun länger. Seine langen Reisen, die er unternommen hat, "um die Sinne zu schärfen", haben Spuren hinterlassen. Weiterentwickelt hat sich auch seine Musik. Erlebnisse von unterwegs speichere er in seinem Unterbewusstsein ab, sagt von Goisern. Zu Hause im Tonstudio vermischten sich dann die Eindrücke etwa aus den USA, Tibet oder Afrika zu Liedern. Seine österreichische Herkunft wirke dabei als Korrektiv. "Es ist aber immer auch das Salzkammergut, das ich in mir höre."

Musik sei an allen Orten, sagt von Goisern. Auch Farben und Gerüche ließen sich in Töne umsetzen. "Jede Stadt besitzt einen unverwechselbaren Grundsound", sagt von Goisern. - Na, fast jede. Den individuellen Klang Hannovers habe er bislang noch nicht orten können, gibt der weitgereiste Kosmopolit grinsend zu. "Aber wer alle Wahrheiten kennt, über nichts mehr reflektieren muss, hat auf dieser Welt ohnehin nichts mehr zu suchen." Er setzt sich andere Ziele. Dass viele Künstler in Ehrfurcht vor dem abendländischen Kulturfundus erstarren, regt ihn auf. Den "Rucksack der Traditionshörigkeit" glaubt der Komponist selbst abgeworfen zu haben. "Für mich ist unser kulturelles Erbe nichts mehr als eine Quelle, von der ich mich nähren kann oder nicht", erläutert von Goisern.

Natürlich hat er sich bedient. Prägend für das Programm von Grenzenlos sind jedoch Versatzstücke verschiedener Weltkulturen. Aber auch äußerlich schreitet der von Goisernsche Prozess kontinuierlicher Weiterentwicklung fort. Mit jedem Tourneeauftritt falle sein Programm extrovertierter aus. Der Lärm und direkte Kontakt zu Menschenmassen auf den Konzerten hätten seine anfangs ruhigeren Stücke härter und schneller gemacht. Wir werden sehen.

Nach dem Konzert im E-Werk...

Soundbase Online November 2002 | Text: SB

Wir (Erik und ich) waren pünktlich und ich schlug mich noch mal mit meinem - fürs Strullern unpraktischen - Overall, aus dem ich mich komplett herauspellen musste, in die Büsche, wo ich mir halb auf den Anzug-Kragen pinkelte. Das fängt ja gut an, oba des kann nur besser werdn...dachte ich mir.

Ich war froh, dass das E-Werk doch so überschaubar war, wie ich es von Mamas & Papas in Erinnerung hatte und nicht so groß wie in meiner Phantasie, seit DJ mir versicherte, das E-Werk ist voll riesig! Wir schlenderten an der Theke entlang zu einer Treppe auf die wir uns pflanzten und wo ich feststellte, dass ich - vollprofimäßig - meine Interview-Frage-Kärtchen zuhause vergessen hatte. Kulli von der Theke geschnappt, im Gedächtnis nach Fragen gekramt, auf 10 Bierdeckeln verewigt.

In vollen Zügen das Konzert genossen, noch ein Bierchen mit Erik an der Theke gezoscht, dann Hannes Heide angerufen, der uns runter durch die Katakomben in eine ziemlich abturnende Küche führte mit Neonlicht und Biertischen und einigen rumhängenden oder rein und rausgehenden Leuten, die wir nicht zuordnen konnten. Hier fühl ich mich aber total unwohl, also beiß ich die Zähne aufeinander und warte eingeschüchtert ab und beobachte.

Hubi kommt rein, setzt sich an den Biertisch und fragt, ob wer weiß, was im Kino läuft - als wären wir auf'er Maloche bei 'ner Kaffeepause. Nach so einem coolen Konzert kann man doch nicht fragen, was so im Kino läuft, da muss man sich doch mit den Bandmitgliedern in den Armen liegen und schwelgen: "Mei war deeees a Wucht! Die Musi is mein Leben" ... oder so ... Das belanglose Gequatsche hätte meine Kiefer ruhig wieder etwas lockern können. Man hätte locker flockig mitraatschen können - aber, was läuft denn grad im Kino? Herr der Ringe? James Bond? Keine Ahnung, da halt ich mich lieber raus und wende mich verkrampft dem Erik und dem kleinen mp3-Player zu, der nachher aufnehmen soll und im Moment überhaupt nicht das macht, was ich von ihm will, als ich Knöpfchen drücke. Die Bierdeckel liegen feinsäuberlich gestapelt neben mir. Hmm ... Bierdeckel, wie professionell, aber jetzt is glei e wurscht! Oals is wurscht, schlimmer kann des fei nimmer werdn.

Fürs Interview wechseln wir kurz die Lokalität. Der Raum ist abgefuckt aber gemütlicher. Herzchentapete, Spiegel, 2 Stühle, verschlissenes Sofa, kleiner Tisch. Wie zwei Loriot-Männchen sitzen wir nebeneinander und ich aktiviere meinen Player, souverän mit einem Knopfdruck - er gehorcht:

Wie hast du die Stimmung heute im E-Werk empfunden? Du scheinst ja einen guten Draht zu den Kölnern zu haben.

Ich fand die Stimmung toll. Im E-Werk sind die Leute eigentlich immer gut drauf. Ich kenne viele Österreicher, die sich hier wohlfühlen; Köln hat für Österreicher so was Verwandtes.

Deine Tour hat ja in Norddeutschland begonnen. Wie war es dort?

Kiel war super gestern. Eigentlich fühl ich mich im Norden total wohl. Ich kann nicht bestätigen, dass die Leute, je nördlicher sie leben, immer kühler werden. Man spürt dort als alpiner Mensch schon, dass man etwas Exotisches ist, so wie man in Afrika spürt, dass man Weißer ist, aber die Leute sind sehr offen.

Das ist aber ein krasser Vergleich, Afrika und Norddeutschland. Macht das so wenig Unterschied aus?

Es ist einfach überall anders. Ich glaube, es gibt nicht so etwas Homogenes wie DAS Afrika, DIE Afrikanerin oder DEN Europäer. Wenn man in Amerika oder Afrika ist und über Europa nachdenkt, kommt es einem wie eine kompakte Einheit vor, aber wenn du in Irland bist, kannst du nicht darauf schließen, wie die Italiener drauf sind oder die Schweizer. Selbst im deutschsprachigen Raum gibt es so eine bunte Vielfalt - das ist spannend. Ich steh auf beides: eine andere Sprache zu höre und ein anderes Bier zu trinken oder andere Musik zu hören finde ich genauso faszinierend wie die Tatsache, dass sich die Dinge einfach vermischen, so wie es jetzt passiert.

Im März/April 2002 hast du Konzerte in Ägypten und West Afrika gegeben und dort sehr heftige Erfahrungen gemacht. Die Konzerte waren einerseits intensiv und bewegend, aber insgesamt war es auch sehr anstrengend und teilweise enttäuschend für dich. Wie gehst du mit Enttäuschungen um?

Ich bin nicht gefeit davor, Erwartungen zu habe, obwohl das nie gut ist. Hoffnungen sind okay, aber Erwartungen sind nicht gut, weil man nur das wahrnimmt, was nicht so ist wie in der eigenen Vorstellung und deshalb übersieht man vieles. Vor allem in West Afrika gab es Momente, wo ich wirklich enttäuscht war und das Gefühl hatte, irgendetwas in der Planung auf dieser Reise falsch gemacht zu haben. Aber im Nachhinein - vielleicht ist das eine besondere Qualität die ich habe, dass ich mich eigentlich nur an das Schöne erinnern kann oder es schaffe, alles so zu sehen, dass ich es als positiv und befruchtend empfinde.

Wird das Erlebte in deiner Erinnerung im Nachhinein verklärt oder überwiegen tatsächlich die positiven Dinge?

Ich glaube nicht, dass ich verkläre. Ich bin einfach ein positiv denkender Mensch, ein Optimist - oft in Situationen, wo es überhaupt nicht angebracht ist (lacht).

Hubert von Goisern und Marlene SchuenDas kann manchmal verhängnisvoll sein, oder?

Ja, aber diese Art von Verhängnis ist mir lieber als mit der Einstellung zu leben, die Welt ist schlecht und überall gibt es nur Probleme.

Hast du nach wie vor Lampenfieber, bevor du auf die Bühne gehst?

Ja.

Immer oder nur in gewissen Situationen einer Tour?

Ich hab's immer. Wenn ich eine Tour beginne, habe ich drei Stunden vorher schon Lampenfieber, d.h. wenn ich um acht spielen soll, bin ich ab fünf total unter Strom. Das legt sich dann aber mit der Zeit. Heute war der vierte Auftritt auf dieser Tour und ich wurde erst 20 Minuten vorher nervös. Kürzer wird die Zeitspanne aber dann nicht mehr.

Kannst du das Lampenfieber auch als positiv empfinden? Puscht es dich vorm Auftritt oder ist es überflüssig und dir nur lästig?

Ich weiß es nicht. In den ersten zwei Jahren als Musiker auf der Bühne bin ich vor jedem Auftritt richtig krank geworden, hatte Fieber, hab gebrochen, hatte Zahnschmerzen - es war fürchterlich. Nach 1 1/2 Jahren war mir das so über, da habe ich mich vor den Spiegel gesetzt, eine Kerze hingestellt und mit mir selber gesprochen: Wenn du noch einmal krank wirst, dann trittst du nie wieder auf, denn dann ist es nicht gut für dich. Ich bin nie wieder krank geworden.

Dann warst du sehr überzeugend dir selbst gegenüber.

Ja, ich habe mir dann einfach selbst das Messer angesetzt. Wenn man auf die Bühne geht, gibt man sich im Grunde genommen Preis - so als würde man sich nackt ausziehen. Es kann alles passieren. Du kannst den Text vergessen, die Anlage kann ausfallen, es kann eine Seite reißen, irgendjemand redet etwas blöd dazwischen...Das ist alles schon passiert und je länger du spielst und je mehr du erlebt hast, desto mehr Selbstvertrauen bekommst du, dass du das schon irgendwie hinkriegst. Es ist eine Energie die sich aufbaut und ich bin froh, dass sie da ist.

Baut sich diese Energie immer auf oder kommt es auch vor, dass der Funke mal nicht überspringt und du im Endeffekt das Gefühl hast, das war kein gutes Konzert?

Es ist sehr subjektiv, was man als ein gutes Konzert empfindet. Manchmal denke ich mir, heute war es nicht gut. Und dann kriegst du ein Feedback, z.B. Briefe von Leuten, die gerade auf diesem Konzert gewesen sind und es ganz wunderbar fanden.

Du machst es also auch vom Publikum abhängig, ob ein Konzert gelungen ist?

Es gibt verschiedene Stufen des Kontakts mit dem Publikum. Manchmal manifestiert sich diese Verbindung sehr klar und das gibt mir Sicherheit auf der Bühne. Wenn das Publikum allerdings in einer großen Halle sitzt, ist es oft schwierig, den Kontakt zu ihm zu spüren und dann bin ich mir oft unsicher.

Das muss ein extremer Gegensatz zu Auftritten in West Afrika sein, wo ja teilweise gar keine Bühne vorhanden war und du sozusagen auf einer Ebene mit dem Publikum gespielt hast. Dort hat dich ja besonders die Spontaneität der Bevölkerung fasziniert und die Tatsache, dass es gar nicht so etwas großes und abgehobenes ist, wenn ein Künstler etwas vorträgt, weil jeder Anwesende irgendwie teilnimmt an der Darbietung. Ist es danach nicht schwer, wieder vor europäischem Publikum zu spielen?

Nein, das europäische Publikum kenne ich ja und da kann man sich schnell wieder drauf einstellen, während in West Afrika wirklich alles ganz neu und fremd war. Wenn du zum erstenmal in einem anderen Kulturraum bist, ist es schon spannend dort deine Sachen zu machen. In Ägypten z.B. gibt es am Ende eines Liedes keinen Applaus, oder nur ganz kurz. Obwohl in Assiut alles sehr weit weg war - es waren 15.000 Leute dort - habe ich gemerkt dass es irgendwie wabert und die Leute mit der Musik mitgehen.

Du vergleichst eine gute Komposition mit einem Gebäude, in das der Zuhörer hineingehen und in dem er sich frei bewegen kann. Wie entsteht ein solches Gebäude und inwieweit ist deine Band daran beteiligt?

Meistens erarbeite ich mir alleine den Grundriss einer Komposition. Danach - wenn man bei dem Vergleich bleibt - kommen die Handwerker heran.

Du bist der Architekt, der das Theoretische plant und an der Umsetzung sind dann alle beteiligt?

Theoretisch ist eine Melodie oder ein Rhythmus nicht. Es gibt diese Grundpfeiler, die ich schon mal hinstelle. Und dann entsteht während des Aufnahme- oder Probeprozesses etwas neues. Manchmal kann ich etwas ganz genauso vermitteln, wie ich es mir vorstelle, aber teilweise ist es auch so, dass die Band eine Komposition ein Stück auf ihre Seite zieht und auf eine Art und Weise interpretiert, die nicht die meine ist. Oft lasse ich mich drauf ein und sage, okay, damit arbeite ich jetzt; schau'n wir mal, was dabei herauskommt. Und wenn's mir nicht gefällt, dann gehen wir halt noch mal zurück. So entsteht ein Zusammenspiel, das Arrangement.

An dein Publikum hast du den Anspruch, dass jeder in deine Musik subjektiv hineininterpretieren soll, was er möchte oder was der einzelne damit verbindet. Hast du trotzdem manchmal das Gefühl, dass etwas total falsch interpretiert wird, so dass du dich missverstanden fühlst, oder ist es dir wirklich wurscht, was das Publikum denkt?

Wurscht ist es mir nicht, aber eigentlich muss es mir wurscht sein, weil ich nicht weiß, was das Publikum denkt.

Hast du schon mal schmunzeln müssen, weil jemand in eins deiner Lieder etwas hineininterpretiert hat, mit dem du dich überhaupt nicht identifizieren konntest?

Klar, bei jeder Interpretation muss ich schmunzeln. Wenn jemand in meiner Musik etwa hört, das für ihn bedeutsam ist und bei ihm ein Gefühl auslöst oder ihn in eine Art Gefühlstiefe bringt, finde ich das schön und deshalb kann ich darüber schmunzeln.

Deine neue Platte Iwasig bezeichnest du selbst als extrovertierter im Gegensatz zum Fön-Album, das aus der Stille heraus entstanden und deshalb eher introvertiert ist. Sind das Extrovertierte und das Introvertierte zwei Seiten, die du nach wie vor in dir hast, oder hat nach Fön ein Wandel stattgefunden?

Ich glaube, ein bissl hat das Introvertierte auch mit Unsicherheit zu tun. Das sind Phasen, die kommen und gehen. Manchmal fühle ich mich total wohl, bin in meiner Mitte und überzeugt von mir selbst und dem, was ich tue. Es gibt aber auch Phasen, wo ich nicht weiß, ob ich das richtige mache. Wenn man nach sechs Jahren zum ersten mal wieder auf die Bühne geht, ist auch ein Zögern dabei und ein "sich a bissl zurücknehmen". Aber jetzt im Moment habe ich das Gefühl, dass es schon so passt und dass ich mit dieser wiedergewonnenen Selbstsicherheit, mit der ich das Iwasig-Album aufgenommen habe, hoffentlich die nächsten Produktionen auch machen werde.

Zitat: "Ich möchte mich nicht durch selbstgezogene Grenzen einschränken sondern Freiheit haben, grenzenlos agieren zu können." Hast du manchmal das Gefühl, auf deine Mitmenschen - sei es deine Band, Freunde oder Familie - keine Rücksicht nehmen zu können, weil du dich durch sie in irgendeiner Form in deiner Freiheit eingeschränkt fühlst? Oder gehst du Kompromisse ein, was in gewisser Weise Grenzen wären, die du selber ziehen müsstest?

Man kann die Freiheit als unendlich viel Land betrachten, das vor einem liegt. Immer wieder muss man sich entscheiden, auf welchem Feld man etwas bestellen oder anbauen möchte. Und dann muss ich mich mit diesem Flecken auch beschäftigen und kann mich nicht mal eben zwei Wochen darum kümmern und dann vielleicht jahrelang wegbleiben. Um bestimmte Dinge kommt man nicht herum. Wenn man in dieser Welt lebt, muss man irgendwie auch mit ihr leben. Und wenn man in dieser Gesellschaft lebt, muss man auch die Grenzen akzeptiert, die diese Gesellschaft aufgestellt hat, damit das soziale Miteinander überhaupt funktioniert.

Es gibt für dich also auch notwendige oder produktive Grenzen, die du akzeptieren kannst?

Ja, aber diesen Traum oder diese Utopie, dass das Leben grenzenlos ist - auch wenn ich ihr nicht gerecht werde - bin ich nicht willens, fallen zu lassen.

Und was heißt das wiederum für deine Mitmenschen?

Das heißt, dass ich in letzter Konsequenz unberechenbar bin. Diese Unberechenbarkeit gestehe ich aber jedem zu und ich hoffe, dass meine Mitmenschen sich dieses Recht auch nehmen. Ich fände es z.B. nicht gut, meine Kinder so zu erziehen, dass sie immer berechenbar sein müssen. Es gibt Sachen, da gehst du deinem Herzen nach und dich zieht's irgendwie da hin. Du findest es schön und es macht dich lebendig. Dann bist du glaube ich für alle, die um dich sind ein viel angenehmerer Zeitgenosse.

A propos angenehme Zeitgenossen - hast du dich jemals mit Jörg Haider, der auch in Bad Goisern aufgewachsen ist, ansonsten aber gar nichts mit dir gemeinsam hat, unter vier Augen unterhalten?

Nein. Ich habe ihn überhaupt noch nie getroffen.

Würdest du ihn gerne mal treffen, um dich mit ihm zu unterhalten oder ihn etwas zu fragen?

Ich möchte nicht sagen, dass ich mit Leuten wie Haider oder auch Bush nicht reden will...Ich glaube, dass jeder Mensch irgendwie interessant ist. Ein Vieraugengespräch mit Bush oder Haider (lacht)...vielleicht bringt's ja was und wenn nicht, ist's auch wurscht. Haiders Politik basiert ja darauf, dass er polarisiert. Wenn sich ein Gespräch mit ihm ergäbe, würde ich ihm deshalb sagen, dass wir Feindbilder nicht aufbauen, sondern abbauen müssen.

Auf deinen Reisen nach Ägypten und West Afrika hast du leider in manchen Situationen auch Aggressionen innerhalb der Bevölkerung erlebt. Würdest du im Rückblick sagen, dass es - bezogen auf die Werte innerhalb einer Gesellschaft oder der Bevölkerung - einen gewissen Mindestkonsens zur Völkerverständigung geben muss? Können wir - so verschieden wir alle sind - einen gemeinsamen Nenner finden und friedlich nebeneinander herleben?

Ja, natürlich ist es möglich, daran glaube ich ganz fest. Aber ich denke, die Problematik besteht darin, dass auf dieser Welt die Reichen die Spielregeln bestimmen, was einfach nicht fair ist. Auf der anderen Seite entsteht eine immer größer werdende Armut. Die betroffenen Menschen haben keine Wahl und müssen sich irgendwann gewaltvoll das nehmen, was ihnen auch zusteht, nämlich ein Stück Lebensqualität und Freiheit. Da muss sich etwas ändern, aber so etwas kann nur ganz langsam wachsen. Das passiert nicht so auf einen Pusch, es sei denn durch eine Katastrophe - etwas fürchterliches, was die Leute kurz wachrüttelt. Nach dem 11. September waren auf einmal Leute im Fernsehen, die du vorher nie gesehen hast und die wirklich etwas gescheites gesagt haben. Denen, die sonst immer was sagen, ist nämlich nichts mehr eingefallen. Leider waren diese gescheiten Leute schnell wieder weg, weil die Bekannteren sich dann wieder irgendetwas zurechtgelegt und in den Vordergrund gedrängt hatten.

Die Reichen und Mächtigen stehen in der Verantwortung, die Welt zu verändern?

Ja, der Handel zwischen der ersten und der dritten Welt muss sich ganz anders gestalten.

Was läuft da schief? Liegt der Fehler im Gesellschaftssystem begründet oder sind die Menschen so unverbesserlich?

Es ist wurscht, welches System wir haben. Wenn man sich z.B. für den Neoliberalismus entscheidet, muss man ihn konsequent jedem zugestehen und darf nicht sagen, die dort bestehenden Regeln gelten nur für uns - wir dürfen uns frei bewegen, aber die anderen nicht. Man könnte sich auch für den Kommunismus entscheiden, vollkommen wurscht, aber man muss ihn konsequent leben.

Sind die Menschen dazu überhaupt fähig? Oft scheint es sich fast auszuschließen, dass ein Mensch die Macht und den nötigen Einfluss gewinnt, etwas in der Welt zu verändern und gleichzeitig die Ideale zu bewahren, die er sicher einmal hatte.

Ich weiß was du meinst, aber das gibt es. Es ist möglich und ich glaube ganz fest an die Fähigkeit der Menschen, das zu checken! Ich glaube z.B. nicht, dass jeder Politiker korrupt ist. Manchmal finde ich aber diese "political correctness" geradezu lächerlich. Jeder hat doch irgendwo einen Flecken auf seiner "weißen Weste".

Vielleicht sind aus diesem Grund Leute wie Haider oder Möllemann populär, weil die Bevölkerung das Gefühl hat, endlich sagt mal einer, was er wirklich denkt - scheiß auf "political correctness".

Stimmt, aber Leute wie Haider oder Möllemann haben in unserer Gesellschaft auch ihre Berechtigung und stellen symbolisch einen Teil unserer Gesellschaft dar. Man darf sie nicht als Einzelpersonen betrachten, es gibt ja auch genügend Anhänger. Deshalb kann es nicht die Lösung sein, bestimmte Äußerungen und Meinungen zum "Nicht-Thema" zu machen. Sonst überlässt man den Stimmungsmachern das Feld. Ich finde, das Lagerdenken ist eines der großen Probleme in unserer Gesellschaft.

Da sind wir wieder bei den Grenzen.

Ja, die einen sind in diesem Lager, die anderen in jenem. Man hört sich gar nicht mehr zu und fängt an, alles zu ideologisieren.

Was hast du für Pläne in naher Zukunft?

Pläne habe ich viele, aber jetzt muss ich erst einmal etwas Grundsätzliches angehen, weil Burkhard, der Keyboarder, mir gestern gesagt hat, dass er aussteigt. Er nimmt eine Schlüsselposition in der Band ein, also muss ich nachdenken, wie es nächstes Jahr weitergeht. Ich kann einen Keyboarder nicht einfach ersetzten, weil viele Sachen auf ihn zugeschnitten sind und das, was er macht, zu spezifisch ist. Jetzt ist alles offen. In dem Moment, wo ich ein Bandmitglied umbesetze, kann ich eigentlich alle umbesetzen. Mal schau'n...

Siehst du diese Situation als Chance oder hast du erst mal nur Panik?

Ich sehe es als Chance, trotzdem ist es unangenehm.

Hier geht es um das Recht der Unberechenbarkeit, die du auch deinen Mitmenschen zugestehst?

Ja. Das bedeutet für mich aber, dass ich mir dieses Recht auch nehme und mich keinem gegenüber mehr verpflichtet fühle.

Das wird ja spannend.

Ja, jetzt denke ich mal darüber nach, in welcher Besetzung ich nächstes Jahr auftreten möchte.

Auftreten auf jeden Fall?

Ja, das möchte ich schon. Dazu gibt's zu viele Pläne, auf Festivals zu spielen. Diese Gelegenheiten möchte ich auch wahrnehmen.

Wie sieht für dich ein perfekter Tag aus?

So ein Tag wie heute. Und dann noch zusammen mit einer Frau einschlafen...

Mein Leben ist lauter geworden

Weser Kurier 23. November 2002

Hubert von Goisern über Lieblingsvolkslieder und Einflüsse der Weltmusik

Bremen. In den neunziger Jahren war der Österreicher Hubert von Goisern mit seiner Band Original Alpinkatzen ein gefragter Live-Act im deutschsprachigen Raum. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs zog er sich plötzlich zurück, schrieb Filmmusiken (für Schlafes Bruder etwa), reiste viel, arbeitete mit tibetischen und afrikanischen Musikern. Im vorigen Jahr meldete er sich dann zurück - mit überragendem Erfolg. Unser Mitarbeiter Christian Emigholz sprach mit dem Sänger und Akkordeonisten, der am Dienstag im Modernes auftritt.

Das Bremer Pier 2 war, Wochen bevor er mit seiner Fön-Tour hier Station machte, ausverkauft. Seitdem ist von Goisern sehr produktiv geblieben. Kurz nach der Tour erschien das Album Trad, er gab Konzerte in Ägypten und Westafrika und legte im September diesen Jahres die CD Iwasig vor, die er jetzt auf einer Clubtournee vorstellt.

Von den Alpen in die Welt hinaus, ist das eine korrekte Beschreibung der jüngsten Vergangenheit?

Ich bin immer schon viel und gern gereist, aber in den letzten Jahren hat sich etwas verändert; früher war das Reisen der eine Teil, der andere das Musizieren. Jetzt kommen diese beiden Teile zusammen, weil ich eine Selbstsicherheit in meinem eigenen musikalischen Ausdruck gefunden habe, so dass ich mich einzubringen traue. Während ich vorher in der Ferne immer nur meine Ohren gespitzt, selbst aber nicht gespielt habe.

Sind das Veränderungen, die mit der CD Fön und ihrer Öffnung zu weltmusikalischen Aspekten begonnen haben, oder gibt es eine Kontinuität?

Ich glaube schon, dass es eine Kontinuität gibt. Meine eigene Befindlichkeit unterliegt eben auch gewissen Einflüssen und dadurch verändert sich die Musik. Fön war ein eher introvertiertes Album, weil es aus der Stille heraus komponiert wurde - ich habe eben sechseinhalb Jahre lang nicht auf der Bühne gestanden. Im letzten Jahr habe ich an die hundert Konzerte gespielt, und während dieser Tour hat sich dann auch mein Lebensrhythmus verändert, mein Leben ist wieder schneller geworden und lauter. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, gibt es dann auch wieder größere Gesten, auch musikalisch größere Gesten, und so ist die neue CD Iwasig jetzt wieder extrovertierter.

Aber eine Kontinuität spüre ich schon, die wird dann auch beeinflusst durch die Musiker, mit denen ich arbeite. Ich bin nicht einer, der jedem genau vorschreibt, was er zu tun hat. Ich sehe mich eher als denjenigen, der beim Produzieren das Beste aus den Leuten herausholt: was sie können, was sie haben, was sie lieben.

Dazwischen gab es mit Trad eine sehr stille CD, die zurückgeht auf alpenländische Folklore. War das ein "Ausreißer" oder schlagen einfach zwei Seelen in einer Brust?

Es ist mir während der Fön-Produktion klar geworden, dass ich nicht alle meine Leidenschaften auf einen Silberling bringen kann. Das Spektrum ist einfach zu weit geworden, und so hab ich mich entschlossen, diese Volkslieder separat zu behandeln, ohne Anspruch der Modernisierung, aber auch ohne Anspruch der Authentizität. Für mich war das eine wichtige und spannende Produktion, obwohl alle beteiligten Musiker zunächst die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und keine große Lust gezeigt haben, diese Musik aufzunehmen. Am Ende aber waren alle aus den Wolken, wie schön die Melodien sind, und wie schön es sein kann, diese Lieder zu spielen.

Ist Trad auch eine Art Gegenentwurf zur Vermarktung im Stile der volkstümlichen Schlagersendungen?

Nein, ich denke, die Musik von Trad ist kein Gegenentwurf dazu. Ich glaube, wenn irgendetwas in meiner Musik als Gegenentwurf bezeichnet werden könnte, dann ist es eher die Anfangsphase mit den Alpinkatzen. Trad ist einfach meine Interpretation meiner Lieblingsvolkslieder.

Bei Iwasig gibt es auch wieder traditionelle Texte, aber hier ist das musikalische Spektrum wieder größer: Jazz- und Funkelemente, Reggae, Latinanklänge. Fließt das so aus der Feder oder steckt dahinter ein Konzept?

Das passiert halt beim Spielen. Bei den karibischen Rhythmen war es so, dass ich zweimal nach Trinidad und Tobago gereist bin, mein Akkordeon dabei hatte und mit den einheimischen Musikern gespielt habe. Dabei ist etwas mit mir passiert, ich habe dort meine Musik aus einem anderen Blickwinkel erfahren.