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HvG IN GRÖNLAND

Jenseits der Töne: Goisern in Grönland

Salzburger Nachrichten 12. Mai 2012 | Text & Foto: Bernhard Flieher

Daheim wird Hubert von Goisern seit dem Hit "Brenna tuat's guat" wieder als Star gefeiert. Der Musikwelterforscher reiste Ende März zum zweiten Mal nach Grönland - in eine fast menschenleere Weite und in soziale Tristesse.

Kein Ton wird getroffen. Hubert von Goisern singt noch einmal ein A. Er bekommt vieles von den 20 Schülern zurück - bloß kein A. Hubert von Goisern mag nicht gern den Lehrer spielen. Er mag musizieren, mag Geschichten hören, sich austauschen. Das ist schwierig. Von den Kindern in der Schule von Sermiligaaq trennt ihn vor allem die Sprache. Und so wie die Kinder das Singen probieren, hört es sich an, als ob dieses Problem in Ostgrönland durch Musik nicht gelöst werden kann.

Im Hubschrauber fliegt man nach Sermiligaaq eine halbe Stunde lang, von Tasiilaq aus. Dorthin braucht der Hubschrauber zehn Minuten von der Insel Kulusuk, und nach Kulusuk fliegt man von Island aus im Jet gut eineinhalb Stunden. "Man ist dermaßen im Nichts", sagt Hubert von Goisern. Einen winzigen Supermarkt gibt es. Die Schule wird auch als Kirche genutzt. Geschlafen wird bei Einheimischen. Das Klo ist ein Kübel. Es gibt kein fließendes Wasser, es gibt auch keine Straßen, nur schmale Fußwege führen durch tiefen Schnee über die kleine Halbinsel. 50 Häuser stehen hier. 15 davon sind unbewohnt. Offiziell leben hier 215 Menschen - und 100 Schlittenhunde. Wegen einiger dieser Hunde ist Sermiligaaq in Aufruhr: Das Gespann aus dem Dorf hat eine Meisterschaft gewonnen. Eine Party steht an, wenn das Gespann nach einer Tagesreise über den gefrorenen Fjord heimkehrt. "Pisaaneq!", jubeln die Bewohner, "wir sind die Besten!" Hier gibt es selten etwas zu feiern.

Seine Neugier und Robert Peroni haben Hubert von Goisern nach Ostgrönland gebracht. Peroni hat sich bei einer Tour über das Inlandeis in das Land verliebt, er betreibt das Red House in Tasiilaq. Es ist eine Unterkunft für Abenteurer und Touristen und eine Art Sozialprojekt.

Peroni stellt nur Einheimische an, er engagiert sich für Jugendliche, deren Lage besonders aussichtslos ist: keine Arbeit, viel Alkohol, hohe Suizidrate.

Auf der Suche nach einem, der sich "auf eine fremde Kultur einlässt und jungen Leuten vielleicht eine Perspektive öffnet", war Peroni - und er fand den Goiserer. Der kam in "etwas völlig Unbekanntem" an. Es ist ein schwieriges Unternehmen. Die Menschen sind scheu. Berührungspunkte gibt es wenige.

In Sermiligaaq spricht nur Uinaat Uitsatsikitseeq, der Lehrer, halbwegs englisch. Wenn er übersetzt, dauert das meist drei Mal so lang, wie das, was Hubert von Goisern sagt. Das Eis bricht, als Hubert von Goisern längst untergangene Klänge auspackt. Er ist gut vorbereitet.

"Ich merke ihm an, dass ihn die Menschen interessieren, und dass er sich Zeit nimmt", sagt Peroni über den Goiserer, der im September vergangenen Jahres zum ersten Mal in Grönland war. "Die Bedingung, derart Fremdartiges zu verstehen, ist, dass man sich mit aller Offenheit darauf einlässt", sagt er, korrigiert sich aber gleich: "Na ja, endgültig verstehen kann man es eh nicht, aber versuchen kann man es."

Auf dem Laptop spielt Hubert von Goisern Aufnahmen alter Inuit-Gesänge ab, die der dänische Ethnologe Knud Rasmussen in den 1920er-Jahren in der Gegend aufgenommen hat. Schamanische Trommeltänze sind das und Lieder, die in einer Art Wettstreit entstanden sind, bei dem es darum geht, das Gegenüber singend der Lächerlichkeit preiszugeben - vergleichbar mit Gstanzln im Alpenraum oder Rap-Battles: gesungene Konfliktregelung.

Es gibt nur wenige "künstlerische" Spuren in der Geschichte der Inuit. Die Härte einer Region aus Eis und kurzem Sommer sowie der ständige Kampf ums Überleben bieten wenig Raum für anderes als das Überleben. In wenigen Jahrzehnten musste das halbnomadische Volk die Wende zur Moderne bewältigen. Über Generationen überlieferte Traditionen bleiben auf der Strecke. "Jetzt lernen die Kinder Sprachen und Rechnen und andere Sachen, mit denen sie im Grunde in der harten Umgebung nichts anfangen können", sagt Hubert von Goisern.

Während die alten Aufnahmen laufen, beginnen ein paar Schüler sich im Takt zu bewegen. Es sind Bewegungen, wie man sie in alten Filmen von Knud Rasmussen sehen kann. Nein, das mache heute keiner mehr, sagt eine der Schülerinnen. Sie habe das auch noch nie gehört, aber sie wisse, wer da zu hören sei, der Urgroßvater von dem und dem. Und der Onkel von einem, den sie kenne, habe das Lied geschrieben.

Zwei Konzerte spielt Hubert von Goisern - allein, nur mit Gitarre oder Ziehharmonika. Eines im Forsamlingshuset in Sermiligaaq, eines in einer Bar in Tasiilaq. Immer wenn er die Ziehharmonika auspackt, gerät das Publikum in Bewegung. Bei den Jodlern herrscht berührte Stimmung, so als ob die Zuhörer Vertrautes erkennen.

In Tasiilaq traf der Goiserer die Schulband. Sie spielt ihm ein paar Songs vor - auch einen der grönländischen Band Nanook. Nanook lassen in einigen Songs grönländische Traditionen anklingen. Ob sie auch grönländische Einflüsse in ihre Musik aufnähmen, will der Goiserer von den Schülern wissen. Sie antworten höflich, dass sie das nicht täten. Aber sie schauen, als wollten sie sagen: Wie kann man denn bloß auf so eine Idee kommen?

Sie spielen die Rockmusik, die ihnen die Satellitenschüssel ins Haus bringt. Es ist Musik einer unerreichbaren Ferne. Die Schulband spielt Knockin' on Heaven's Door. Hubert von Goisern nimmt die Ziehharmonika und steigt ein. Der Dylan-Song erweist sich als universelle Sprache. Ein Lied lang sind Unterschiede beseitigt.

Ein paar Tage zuvor, in Sermiligaaq, war aus tönendem Durcheinander auch noch etwas geworden: der Andachtsjodler. Oder zumindest eine Rohfassung. Dann sagt Hubert von Goisern, dass er nun wieder heimfliege, und dass er wieder kommen werde. Die Schüler hören die Übersetzung, stehen auf und schmiegen sich an ihn, umarmen ihn. "Es ist ein Anfang", sagt der Goiserer. Aber es brauche "die Dauer, eine Kontinuität, die Vertrauen schafft." Für kommenden Winter plant er die nächste Reise.