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INTERVIEW

Der Goiserer ruft zum Singen auf

Salzburger Nachrichten 14. November 2016 | Text: Hedwig Kainberger

Dass Schüler nicht rechnen können – unerhört!
Aber dass sie kaum noch singen, empört zumindest Hubert von Goisern.

"Ich sehe mit Bedauern, dass das gemeinsame Liedgut fehlt, um miteinander singen zu können", stellt Hubert von Goisern fest. Dieses Ausdorren des allgemeinen Singvermögens komme daher, dass es an den Schulen an Musik- und Gesangsunterricht mangle. "Das wissen die meisten", sagt Hubert von Goisern. Aber wer frage, wer endlich etwas an Lehrplänen oder Lehrerausbildung ändere, bekomme ein Achselzucken. Die Folge: "Ich glaube nicht, dass wir noch zehn Lieder zusammenbekommen, die in Österreich alle Kinder singen können!"

Was bewirkt Singen? "Dass man sich einschwingt aufeinander", erläutert der Sänger – sei's zu zweit oder bei Konzerten, wenn rund 2000 Leute sängen. Und: "Beim Singen müssen die Leute aufmachen", sagt Hubert von Goisern – hebt sein Gesicht, richtet seinen Oberkörper auf, breitet die Arme aus und stellt fest: "Darum ist es so schade, wenn es keine gemeinsame Literatur gibt, mit der man das praktizieren kann."

Den widerborstigen Liedermacher aus dem Salzkammergut stört das schon lang. Mitte der Neunzigerjahre habe er seinen Sohn – damals in der Hauptschule – gefragt: "Was machts in Musik?" Da sagt der Bub: "Schreiben." Der Vater: "Und singen?" Antwort: "Singen nicht." Es gebe gar keinen Musiklehrer, nur einen Mathematiklehrer, und weil der Gitarre spielen könne, unterrichte der auch Musik. Darauf ging der Vater mit dem Vorwurf zum Lehrer: "Mei Bua hat g'sagt, ihr sings net!" Der Lehrer: "Die wollen nicht singen." Aber was sei, fragt der Vater nach, wenn die sagten, sie wollten nicht rechnen? "Das ist etwas anderes", erwiderte der Lehrer. Das habe ihn derart empört, dass er selbst ein Jahr lang Musik unterrichtet habe. "Seither hab ich großen Respekt vor jedem, der sich vor die Kinder hinstellt."

Dies schilderte Hubert von Goisern Ende der Vorwoche zum Abschluss des Symposiums des Salzburger Volksliedwerks in Werfen, bei dem ein sonderbarer Taumel zwischen tiefer Liebe und hermetischer Abneigung spürbar wurde: zwischen traditioneller Volksmusik und einer populären Version, wie der Goiserer sie erfunden hat.

Dieser erzählte von seinen Anfängen: In seiner Kindheit in Goisern sei "die Volksmusik omnipräsent" gewesen. Doch früh habe er erfahren, "dass die Leute, die das spielen und betreiben, etwas Abweisendes haben – gegen alles, was nicht so ist wie sie. Das hat mich abgestoßen." Er habe gedacht: "Wenn ich anfang zu jodeln und Volksmusik zu spielen, werd ich so wie die. So will ich aber nicht werden."

Ergo: "Als junger Mann wollte ich nicht eine Musik machen von Leuten, die ich nicht mag." Also sei er "als Kind der 60er-Jahre mit Popmusik aufgewachsen". Allerdings: "Erst im Ausland bin ich draufgekommen, was da noch fehlt."

Noch immer bekommt er dieses "Abweisende" oder "Ausgrenzende" zu spüren: Einen ORF-Redakteur habe er um eine Auskunft gebeten und als Antwort erhalten: "Dir sag i sicher nix." Ein Volksmusikensemble aus dem Salzkammergut, von dem er sagt "Wenn i die hear, kunnt i trenzn – so scheen", habe ihm auf die Anfrage, mit ihm eine CD zu machen, mitgeteilt: "Mit dir wollen wir nix zu tun haben."

Dabei kommt er auch bei anderen Ensembles ins Schwärmen: Als er Jodeln in Fernsehshows gehört habe, "hat es mir die Zehennägel eingerollt – peinlich!" Aber: "Nie peinlich waren mir die Jodler vom Pongauer Viergesang – so getragen und ineinander verschlungen."

Seit vielen Jahren bemühen sich die Volksliedwerke um Liedkultur: mit kostenlosen "offenen Singen", mit Sammeln von Liedliteratur, mit Noten zum Herunterladen, mit "Liedertankstellen" für Lehrer.

Nach dem Podiumsgespräch wurde deutlich, dass der Goiserer unter deren Funktionären viele Sympathisanten hat. Ein Herr meldet sich mit Worten des Dankes: "Hubert von Goisern habe "ins Volk etwas an Liedern zurückgebracht"; mit CDs wie Trad und Trad II habe er mehr Leute erreicht "als viele Jahrzehnte Volksliedpflege". Eine Dame berichtete von der Singfreude, die einst Koa Hiatamadl bei Kindern ausgelöst habe, die "fast ohne Lied aufgewachsen sind". Trotzdem: Ohne angemessenen Musikunterricht in Schulen schwinden das Singkönnen und das Liederkennen. Was tun? Da fragt einer, ob Hubert von Goisern bei einer Plattform mitmachen würde, um Singen in Schulen zu unterstützen. Der redet nicht lang herum, sondern sagt: "Ja."