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HUBERTS SCHREIBTISCH

Das waren Zeiten ...

25. Feber 2019 | Text: Hubert von Goisern | Foto 1: © Hubert von Goisern; Foto 2: Helmut Stern, © stern-press

Wolfgang Staribacher and Hubert von Goisern - Roter EngelIn den Achtziger Jahren fand im Roten Engel der allabendliche Kampf um Aufmerksamkeit statt. Wolfgang Staribacher, meine damalige Co-Alpinkatze meinte einmal sehr treffend: "Oida, im R. E. spielen ist wie Straßenmusik auf einer Verkehrsinsel". In der Tat buhlten die Gäste mindestens genauso wie die Künstler darum, gesehen und gehört zu werden. Die Unterhaltung war oft derart laut, dass man die Musik mehr ahnen musste als dass man sie hören konnte. Und was aus den Lautsprechern der P. A. kam, lag auf Grund der Lärmschutzbedingungen meist unterhalb des Geräuschpegels. Was auf der Bühne stattfand, ging vielen Gästen am A… vorbei. Darbietungen wurden als konkurrierende Geräuschkulisse wahrgenommen und waren bestenfalls stimmungsvolle Hintergrundmusik für persönliche Gschichteln man sich  untereinander erzählte. Es kam mir in der Tat manchmal vor, als stünde ich mit meiner Gitarre in der Mitte eines vielbefahrenen Kreisverkehrs. Man wurde 'nicht einmal ignoriert' und musste schon lichterloh brennen um Aufmerksamkeit zu bekommen. Im Roten Engel der Achtziger Jahre habe ich gelernt um mein Publikum zu kämpfen.

Ich habe damals auch gelernt mein Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Anfangs musste ich mich vor jedem Auftritt übergeben. Begleitet von Migräne, Fieber, Zahnschmerzen und Bauchkrämpfen stieg ich jedes Mal die drei Stufen hinauf zur Bühne. Dann habe ich mich selber ins Gebet genommen und zu mir gesagt: "Hubert, wenn dich das derart mitnimmt und krank macht, dann ist das nicht das Richtige für dich. Wenn du noch einmal krank wirst, dann hörst du auf damit!"

Ab da bin ich nicht mehr krank geworden. Gestresst und angespannt war und bin ich auch weiterhin. Aber schlecht geworden ist mir nie mehr wieder. Vielleicht waren es auch weniger die eindringlichen Worte, sondern vor allem die Not. 600 Schilling, umgerechnet €44, hat mir der Manager nach meinen Dreistunden Gigs in die Hand gedrückt. Die habe ich gebraucht um über die Runden zu kommen wie der Hund den Knochen.

Von den Aufführungen meiner musikalischen ‚Kernvisionen' konnte ich mir keine Suppenwürfel kaufen. Ich studierte experimentelle Musik und Elektroakustik an der Wiener Musikhochschule und alle paar Monate brachte ich im Kunstverein Alte Schmiede (unweit vom Roten Engel, in der Schönlaterngasse) eine Komposition zur Uraufführung. Vor selten mehr als einem dutzend ernster, blassgesichtiger Studienkollegen sowie ein paar Freunden die meine Klangvisionen begleitet haben. Die Bezahlung war etwas besser als im R. E. aber weil viel seltener und die Umsetzungen mit mehr Kosten verbunden ein Nullsummenspiel.

Höhepunkt war ein Streichquartett das ich 1987 komponiert habe. Ich habe an dem fünfsätzigen Werk zwei Monate lang gearbeitet und bekam die für mich unglaubliche Gage von 5000 Schilling (€350). Je 1000 zahlte ich den Musiker/innen und weil es so schön gewesen war und an die 40 Leute zugehört haben, lud ich mit dem übriggebliebenen Tausender, alle Mitwirkenden und meine schwangere Freundin vor lauter Freude zum Italiener ein.

Es war existentiell einen Brotjob zu suchen und ich fand ihn ein paar Gassen weiter am Rabensteig im Roten Engel. Ich konnte auf einige Blues und Jazzstandards sowie ein paar Singer-Songwriter Klassiker zurückgreifen die sich über die Jahre angesammelt hatten. Die spielte ich ein paar Mal durch und sah zu dass die Texte saßen. Dann fasste ich mir ein Herz und stellte mich bei dem Manager vor. Er gab mir einen Termin und ein Monat später stand ich mit einer Western Gitarre in oben beschriebenem Ausnahmezustand auf dem kleinen Podium des R. E.

Nach einigen Liedern wurde es besser. Auch weil ich begriff, dass es keinen Grund zur Panik gab da mich eh niemand beachtete. Das entspannte mich kurzfristig ein wenig, aber langfristiges war es nicht gut für mein Ego. Ein einschneidendes Erlebnis bescherte mir der Verzicht auf eine Setliste. Es war mein vielleicht fünfter Auftritt im R. E. An jenem Abend legte ich mich nur auf die ersten drei Lieder fest. Danach wollte ich spontan und nach Stimmung entscheiden was als nächstes passt. Nach dem dritten Lied wartete der Abgrund. Ich hätte aus einem Repertoire von vielleicht 100 Stücken schöpfen können. Es fiel mir kein einziges ein. Es war mein erster klassischer Blackout. Von der Magengrube ausgehend breitete sich ein Körpergefühl aus das zuerst weit unter dem Gefrierpunkt lag, innerhalb weniger Atemzüge jedoch den Siedepunkt überschritt denn genau jetzt passierte es. Es wurde leise. Das Gerede verebbte und es wurde mucksmäuschenstill. Alle, inklusive der Kellner blickten zu mir. Ich hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich hatte es geschafft. Ich wusste zwar nicht wie's weiter geht aber immerhin.

Während eines Besuchs zu Hause im Salzkammergut hatte ich, in einem zugegeben entrückten Zustand, eine handgreifliche Begegnung mit der Steirischen Ziehharmonika meines Großvaters. Ich war ihr jahrelang feindselig gegenüber gestanden aber beim Versuch sie zu zerreißen hat sie mich in ihren Bann gezogen. Es faszinierte mich wie sie sich geradezu hingebungsvoll meine Grobheiten gefallen ließ und dabei noch lustvoll stöhnte. Also nahm ich sie mit nach Wien und begann Stücke darauf zu komponieren. Flirrende, kreischende, wabernde Sachen von denen es einige sogar ins Radio schafften. In eine Sendereihe für zeitgenössische österreichische Musik auf Ö1.

Hubert von Goisern - Roter Engel. Foto: Helmut Stern, © stern-press Ermutigt, nahm ich die Ziehharmonika mit in den R. E. Ich begann wie üblich mit der Gitarre und ein paar mäßig zur Kenntnis genommenen Liedern. Dann packte ich die Steirische aus. Eine Schockwelle ging durch das Lokal. Sie war physisch spürbar. Ich hatte noch gar keinen Ton gespielt, da riefen auch schon ein paar Gäste: "Zahlen bitte!" Es war offensichtlich, dass nicht nur ich einen Grausen hatte, vor dem Instrument im speziellen und der Volksmusik im Allgemeinen. Indem ich meine Finger auf die Knöpfen der Harmonika legte griff ich in eine Wunde und die österreichische Seele zuckte zusammen. Das machte es erst recht zur Herausforderung. Ich spielte jetzt nicht nur um mein, sondern auch um das Leben der Diatonischen Ziehharmonika. Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft. Und ich spielte sie so, dass buchstäblich die Fetzen flogen. Ich kann mich noch gut erinnern wie ich meinen ersten Balg zerrissen habe. Es war beim ekstatischen Schlussteil des Instrumentalstückes Solide Alm.

Das Stück markierte die Geburtsstunde der Alpinkatzen. Mein damaliger Partner Wolfgang Staribacher spielte Keyboard und wir hatten einen Drumcomputer der auch bei der Alm zum Einsatz kam. Beim Wechsel vom A Teil in den B Teil aktivierte Wolfgang per Fußschalter die Doubletime, und an jenem Tag drückte ich dabei so zu, dass der vom Schweiß getränkte und aufgeweichte Balg meiner Ziehharmonika regelrecht zerplatzte.

Wolfgang und ich sind uns im Herbst des Jahres 1986 im Roten Engel (wo sonst?) über den Weg gelaufen und wir beschlossen gemeinsam aufzutreten. Nicht weil wir eine Vision hatten, sondern weil es zu zweit lustiger war und weil es aufs selbe hinauskam. Ein Duo bekam ÖS 1200; ein Solist ÖS 600. Wir machten uns lange Zeit den Spaß jedes Mal unter einem anderen Namen aufzutreten. Einmal nannten wir uns Willig und Billig, das nächste mal Heuer Teuer, ich kann mich nicht mehr an alle erinnern. Irgendwann kamen wir auf Alpinkatzen die aber termingerecht für einen Auftritt am Ostersonntag zu Alpinhasen mutierten. Eines Tages fragte mich Wolfgang Beneder der Geschäftsführer, er hätte doch gerne gewusst warum wir das machten. Wir sagten ihm, das sei einerseits um die Groupies abzuschütteln und andererseits jene Leute zu überlisten die unseren Vortrag nicht goutiert hatten. Wie man weiß, ist es auf Dauer nicht gelungen den Fans zu entkommen und die Erkenntnis, dass eine steirische Ziehharmonika nicht notwendigerweise Ewiggestrigkeit verströmen muss hat sich vom Roten Engel aus auf ganz Österreich und darüber hinaus verbreitet.

Abschließend möchte ich noch einmal auf das Bild der Verkehrsinsel zurückzukommen. Es hat über ein Jahr gedauert, aber es ist uns gelungen 'den Verkehr' zum Stillstand zu bringen. Das ganze Lokal, inklusive jener die draußen auf der Gasse standen und durch die Fenster hereinschauten haben wir in den Bannkreis unserer Musik gezogen.

Auch wenn ich es damals nicht immer so empfunden habe, es war eine wunderbare Zeit und meine Dankbarkeit ist unendlich groß. Gegenüber dem Roten Engel, gegenüber Wolfgang Beneder und vor allem gegenüber Michael Satke. Es war seine Vision, seine Idee, seine Bar und mein Sprungbrett in die Welt.

© Hubert von Goisern

Roter Engel - Michael SatkeDieser Text wurde geschrieben für das Buch

Roter Engel: Wien 1981 - 1997
von Michael Satke
2018 Falter Verlag Wien |