DeutschEnglish

AUSLAND

Der Alpinzigeuner

Leonart Kulturmagazin Dezember 2005 | Text: Dagmar Steigenberger | Foto: Robert Haas

Wer von Neuer Volksmusik spricht, kommt um Hubert von Goisern nicht herum. Dabei passt der Musiker, der 1992 mit dem Lied "Koa Hiatamadl" berühmt geworden ist, längst nicht mehr in nur eine Schublade. Sein Musikstil ist eine Mixtur aus traditionellem Liedgut, Blues und Weltmusik, was vor allem seiner zweiten Leidenschaft - dem Reisen - zuzuschreiben ist. Leonart traf den Künstler in einem Kaffeehaus in Salzburg.

Hubert von GoisernVor kurzem waren Sie auf dem Ringsgwandl-Konzert in Bad Ischl, hat mir Ihr Agent erzählt. Wie fanden Sie es?

Wunderbar. Ich schätze Ringsgwandl sehr. Ich war jetzt schon länger auf keinem Konzert mehr von ihm und deshalb froh, dass ich ihn wieder mal live erlebt habe.

Welche Musiker haben Sie daheim in Ihrem CD-Regal stehen?

Daheim hör ich selten Musik, lieber ist es mir live. Aber meistens erfahre ich von den interessanten Dingen, wenn sie schon gewesen sind. Die Kulturberichterstattung in den Zeitungen ist recht dürftig, im Gegensatz zum Sportteil, der ist ja auf x-Seiten aufgeblasen. Musik entsteht für mich erst, wenn live gespielt wird. Ein eigener Zauber kann sich nur dann entfalten, wenn sie zur gleichen Zeit gespielt und gehört wird. Das Studio ist im Gegensatz dazu zum Ausprobieren da, zum kreativen Arbeiten. Das, was bei dieser Arbeit rauskommt, ist schon auch gut. Aber es kann nur die Grundlage für ein Live-Konzert sein.

Sie spielen unheimlich viele Instrumente – Zieharmonika, Trompete, Gitarre ... – und Sie sind oft auf Reisen. Wie sieht es bei Ihnen zuhause aus? Steht da viel Kram rum?

Viel zuviel Kram. Manchmal habe ich Phasen, wo es mir wurscht ist, dann wieder Phasen, in denen ich ausmisten muss. Gerade habe ich wieder so eine hinter mir, aber die Kiste mit Effektgeräten und anderem Zeug steht immer noch im Studio herum.

Welche besonderen Instrumente überleben solche Aktionen?

Ich habe viele Saiteninstrumente – von der E-Gitarre bis zur Ukulele. Und noch mehr Flöten, von denen einige recht ausgefallen sind. Eine Nasenflöte von den Philippinen zum Beispiel.

Kaufen Sie solche Sachen auf Ihren Reisen ein?

Nein, eigentlich kaufe ich da gar nichts. Manchmal bringen mir Freunde ein Instrument aus dem Urlaub mit. Aber die funktionieren meistens nur halbgut. Wenn ich wirklich mal eins finde, das ich mit nach Hause nehmen will, dann lasse ich es hier vom Fachmann herrichten, bevor ich drauf spiele.

Wie gehören Ihre beiden Leidenschaften, das Reisen und die Musik, zusammen?

Im Weg sind sie sich jedenfalls nicht. Als Musiker bist du immer auch ein Zigeuner. Ohne diesen Zigeunerzug fehlt irgendwas, das merkt man an denen, die hier bleiben und sich nicht in der Welt umschauen. Natürlich gibt es unter ihnen auch gute Musiker, aber irgendwas fehlt.

Auf Ihren Reisen wurden Sie auch von Menschen inspiriert, die nichts mit Musik zu tun hatten: von Jane Goodall beispielsweise. Nach einem Besuch bei ihr in Afrika haben Sie die Gombe-CD herausgebracht.

Goodall ist eine unglaublich beeindruckende Persönlichkeit. Das spürt jeder, der das Glück hat, ihr zu begegnen. Sie vermittelt ein so positives Lebensgefühl, obwohl sie genauso wie wir alle schon Katastrophen erlebt hat. Sie hat den festen Glauben – man könnte sogar von einem Wissen sprechen –, dass die Menschheit unendliche geistige Ressourcen hat, dass wir mit allem und jedem verbunden sind und jede Krise bewältigen können. Auch wenn es manchmal so ausweglos scheint.

Was machen Sie in so einem Fall?

Wenn ich das Gefühl habe, ich steh gegen die Wand und komme einfach nicht weiter und kann einfach nicht drüber ... dann dreh ich mich meistens um. Setz mich hin und schaue, ob es nicht eine andere Möglichkeit gibt. Bei uns gibt es da ein Sprichtwort, das heißt "Es is leichter wos dawoat ois daloff'n" ("Es ist leichter, auf etwas zu warten als dem nachzuhetzen"). Natürlich ist es gut, hartnäckig zu bleiben und nicht aufzugeben. Aber wenn einer unbedingt mit dem Kopf durch die Wand will, dann möcht ich sagen: "Geh halt drei Meter nach links, da ist eine Tür!".

Sie hatten einmal eine Audienz beim Dalai Lama, treffen bei Ihren Reisen mit Moslems und Hindus zusammen. Welcher Religion stehen Sie am nächsten?

Ich fühle mich als Christ, auch wenn ich aus der katholischen Kirche ausgetreten bin. Religion ist fast sowas wie die Hautfarbe: Die hast du vererbt bekommen und trägst sie dein ganzes Leben lang. Ausgetreten bin ich wegen der Naivität der katholischen Kirche: die Unfehlbarkeit des Papstes, die jungfräuliche Geburt der Mutter Maria, die patriarchalischen Strukturen ... An sowas kann doch kein erwachsener Mensch mehr festhalten! Dieses Bild eines eifersüchtigen, strafenden Gottes, wie er im Alten Testament dargestellt wird ... Gott ist unvorstellbar. Und es heißt auch an einer Stelle in der Bibel: Du sollst dir kein Bildnis machen. Daran versuch ich mich zu halten. Deshalb fühle ich mich in allen Gotteshäusern zuhause, in Kirchen, Moscheen, Tempeln, Klöstern ...

Gibt es denn etwas, was Sie als charakteristisch alpenländisch bezeichnen würden?

(überlegt lange) Da fällt mir nix ein, was es bei uns gäbe und woanders nicht. Die Menschen sind überall gleich, sie leben nur unter verschiedenen Rahmenbedingungen.

Glauben Sie, dass Musik überall verstanden werden kann, quasi als eine Universalsprache?

Mit Musik kann man nicht lügen, mit Worten schon. Mit Musik kann man niemanden verletzen, man kann nicht musikalisch sagen: Du bist ein Trottel! Die Musik entzieht sich der Weltlichkeit, sie ist etwas Übermenschliches. Wenn du allerdings einen Text zum Lied hast, dann mischt es sich schon wieder.

Auf Ihrer neuen DVD Warten auf Timbuktu sieht man immer wieder Afrikaner im Publikum, die bei Ihren Jodlern lachen. Fühlen Sie sich da nicht missverstanden?

Ich fühle mich schon verstanden. Man muss lachen dürfen, wenn man etwas lustig findet. Bei unseren Volksmusikanten — ich weiß nicht, wie es mit denen in Bayern ist – ist alles so ernst. Sie schauen so streng, wenn sie musizieren. Nur wenn dann schon viel Bier geflossen ist, tauen sie ein bisserl auf.

Kann eigentlich auch ein Afrikaner das Jodeln lernen?

Ja sicher. Jodeln kann jeder, genauso wie jeder musikalisch ist. Der eine tut sich halt leichter, der andere nicht so leicht.

Aber wir können doch beispielsweise diese Schnalzlaute der Xosa auch nicht aussprechen.

Natürlich, man muss es üben, wie alles andere auch. Die Xosa sind ja damit aufgewachsen und hatten Zeit, das zu lernen.

Sie haben mit Inexil 1998 eine CD mit asiatischem Einfluss gemacht. Der afrikanische Einfluss ist auf der Gombe und auf der neuen CD Ausland zu spüren. Warum ist es mit der Zusammenarbeit mit tibetischen Musikern nicht weitergegangen, mit den afrikanischen schon?

Das schaut nur so aus, als ob der afrikanische Einfluss so groß wäre. Eigentlich war nur die Gombe-CD mit afrikanischer Musik. Das, was auf Ausland zu hören ist, ist das Konzert, das wir beim Festival au Desert gegeben haben, aber keine afrikanische Musik. Die künstlerische Zusammenarbeit mit Menschen, die aus einer anderen Kultur stammen, ist bereichernd, aber schwierig. Nach solchen Projekten brauche ich immer wieder Pausen, in denen ich mich erholen kann.

Sie sagen am Ende von Warten auf Timbuktu, dass dieses Konzert in Mali desillusionierend gewesen sei. Welche Illusion hat man Ihnen da genommen?

Da sind wir eingeladen bei dem Festival, ich freu mich, die werden sich sicher auch freuen, denke ich. Das Feedback des Konzertpublikums war auch Begeisterung, sie haben Kassetten und CDs von uns gekauft. Aber den Organisatoren ist es am Arsch vorbeigegangen. Sie haben keine Gastfreundlichkeit gezeigt und gedacht, sie können uns das Geld aus der Tasche ziehen. Das waren nicht nur einige 100 Euro, die ich da gelassen habe, das waren ein paar Tausend. Damit machen sie so viel kaputt, was an Völkerverständigung durch dieses Festival entstanden ist.

Haben Sie eine Utopie, was das Zusammenleben in einem Staat betrifft?

Im Herzen bin ich Kommunist, aber ich war in Kuba und muss sagen, Castro ist ein Vollidiot. Vielleicht ist er als Mensch charismatisch, aber ansonsten ist er ein alter Trottel. Die Menschen dort haben nicht die Erlaubnis, mit einem Ausländer zu reden, es sei denn sie sind Touristenführer und haben eine Lizenz dazu. Eine solche Unfreiheit, die erdrückt mich. Meine Vision ist, dass wir lernen, Menschen zu wählen, nicht Parteien. Ich bin gegen dieses Parteidenken, gegen Ideologien, Religionen, gegen nationales Denken. Aber ich bin Realist und weiß, so weit sind wir noch nicht.

Waren Sie als Jugendlicher ein Revoluzzer?

Ja, schon. Ich hab lange Haare gehabt und nicht das gemacht, was die Eltern gerne gesehen hätten. Meine Mutter wollte, dass ich Mediziner, mein Vater, dass ich Lehrer werde. Eine Lehre hab ich zwar gemacht – Chemielaborant –, aber dann hab ich weg müssen. Meine Eltern haben sich ständig Sorgen gemacht, weil ich kein Geld verdient hab. Es hat mich einfach traurig gemacht, dass meine Eltern sich so gesorgt haben. Wie ich dann weg war ...

... in Südafrika

... genau, mit 21 Jahren bin ich dahin gegangen, – also, wie ich dann weit weg war, ging's mir besser. Es hat mir nichts ausgemacht, wenn ich kein oder wenig Geld hatte. Machen konnte ich immer das, was ich wollte. Damals hat es halt länger gedauert, bis ich das Geld dafür zusammengespart hatte.

Wie verstehen Sie sich heute mit Ihren Eltern?

Meine Mutter ist vor vier Jahren gestorben. Mit meinem Vater verstehe ich mich gut, vor allem, wenn wir was zusammen machen. Er ist ein Handwerker, der in der damaligen Zeit, als man kaum Geld hatte, gelernt hat, alles selber zu machen. Das bewundere ich an ihm, er kann sich immer selbst helfen. Ich bin handwerklich nicht so begabt, außer beim Elektrischen.

Gibt es ein Ereignis, von dem Sie maßgeblich gelernt haben?

Hm. Vielleicht, wie ich 1986 bei der Messe in Frankfurt dem Colosseum-Schlagzeuger Jon Hiseman begegnet bin. Wir beide haben Mikrofone vorgeführt, und ich hab ihn gefragt, ob er als erfahrener, erfolgreicher Musiker mir als unerfahrenem, damals noch erfolglosem Musiker einen Rat geben könnte. Er sagte: "Rule number one: Whatever happens, never give up. Rule two: Never play at parties." Beides hab ich befolgt.

Was hat sich für Sie durch das Geld, das Sie inzwischen verdienen, geändert?

Früher musste ich langfristig planen. Jetzt ist es so, dass es mich packt und ich ein paar Tage später im Flugzeug sitze. Aber das Herumreisen ist für mich nicht mehr so wichtig, Früher hatte ich immer ein geografisches Ziel vor Augen.

Was ist jetzt Ihr Ziel?

Bis zu einem gewissen Grad plane ich schon. Aber zu einem sehr großen Teil verlasse ich mich auf den Zufall. Es ist mir wichtig, alles um mich herum wahrzunehmen und auch zu reagieren nicht immer nur zu agieren.

Vor ein paar Tagen haben Sie Ihren 53.Geburtstag gefeiert. Welche Projekte haben Sie noch vor?

Ideen hab ich viele – mal schauen, welche sich verwirklichen lassen.

Können Sie sich vorstellen, sesshaft zu werden?

Das bin ich doch jetzt schon. Das war ich eigentlich immer. Ich wechsle nur ab und zu meinen Sitzplatz. Seit 14 Jahren wohne ich in Salzburg.

Wo sehen Sie sich mit 70, 80 Jahren?

Wenn ich's noch erleb', als Lehrer. Ich könnte mir vorstellen, später mal am Mozarteum zu unterrichten. Später, jetzt nicht! Weil die meisten meiner Kollegen aufhören, Musiker zu sein, wenn sie unterrichten. Denen ging was verloren. Davor hab ich Schiss.

Und vor dem Älterwerden?

Davor nicht. Ich komme ganz gut zurecht damit. Eigentlich ist das Älterwerden wie die Pubertät auch. Und die war bei mir nicht dramatisch. Du brauchst halt ein bisserl Zeit, dir klar zu werden, wo du stehst. Und manchmal musst du dazu allein sein.

Welches Tier wären Sie gerne?

(überlegt) Da gibt's zwei. Das eine wäre ein Adler, weil er fliegen kann. Er bewegt sich in einem Element, in dem ich mich nicht bewegen kann. Das zweite ein Wal: Er ist auf weiten Reisen unterwegs. Und ein Einzelgänger.

Härtetest beim Warten auf Timbuktu

Kleine Zeitung 13. November 2005 | Text: Annelies Pichler | Foto: APA

Nach 100 Konzerten und einer Afrikareise zog sich Hubert von Goisern etwas zurück. Aber nicht ganz.
In Wien erzählte er uns über seine "Ausland"-Erfahrungen und andere Projekte.

Hubert von GoisernAusland heißt der Hubert-von-Goisern-Doppelpack, bestehend aus einer CD mit Volksliedern sowie der DVD-Dokumentation Ihrer neunten Afrikareise. Ausland, wieso?

Wo beginnt's. Ich denk mir: Ausland beginnt eigentlich bei der Türschwelle. Als Goiserer, der aufgewachsen ist bei einer Nachbarin, von der es immer geheißen hat, das ist die "Zuagroaste". Eine alte Frau, von der ich irgendwann erfahren habe, dass sie mit 20 Jahren aus der Gosau nach Goisern geheiratet hat! Da denk' i mir: Ja, eh, Ausland. Da soll keiner sagen, Ausland ist weit weg. Und für mich ist der Begriff auch noch supergut besetzt, dazu fallen mir nur gute Sachen ein.

Wie passen Volkslieder zur Dokumentation einer Afrika-Reise?

Das Wüstenkonzert in Timbuktu, Mali, schließt den Kreis. Wir haben dort ja auch nur gemacht, was wir in hundert Konzerten ein ganzes Jahr lang im deutschsprachigen Raum gemacht haben. Zum Abschluss halt noch einmal in Mali.

Eine Reise, die genauso gut den Titel "Enttäuschung" tragen könnte. Woran lag das?

Ich hab' irgendwie geheult, dass es vorbei war, dass es so schnell gegangen ist, und auch, dass es so mies war. Die Respektlosigkeit dort. Die Anlage war absoluter Schrott und wären da nicht meine Techniker gewesen, hätte das ganze Festival nicht einmal stattfinden können. Und dann kommen diese "Organisatoren" und sagen, nur die fünf Musiker bekommen einen Zeltschlafplatz, die Tontechniker müssen einen Festivalpass von 300 Euro zahlen, damit sie überhaupt rein dürfen. Sie haben uns eingeladen und sollten sich also auch bitte um ums kümmern, nicht dieses: "Wie viel Geld habt ihr mit, legt es auf den Tisch und haut's wieder ab." Das war enttäuschend und beleidigend. Und nicht nur uns ist es dort so ergangen. Jedem. Auch den afrikanischen Künstlern.

Gar nichts Schönes?

Auf der DVD sind zumindest drei Momente drauf, zu denen ich sagen muss, also da hab' ich etwas zurückbekommen. Wie Bil Aka Kora und ich Hiatamadl singen. Währenddessen hab' ich nur gedacht, hoffentlich geht alles gut. Ich konnte es nicht genießen, wir konnten einander nicht einmal hören, alle Monitore waren kaputt, ein Blindflug. Gekracht hat's und gerammelt und wir haben nicht gewusst, ob die draußen irgendetwas hören. Doch wenn ich mir das jetzt anhöre, denke ich: Es hat sich allein schon deswegen ausgezahlt, dass diese Version dokumentiert ist. Oder die Begegnung mit Kele Tigi, dem Balafonspieler. Ein Geschenk. Dann diese Band, auf die wir am letzten Abend zufällig gestoßen sind. Glücksmomente kannst du nicht kaufen. Dass so etwas passiert, ist mit Einsatz verbunden und immer bleibt das Risiko, dass gar nichts geschieht.

Ein Jahr mit hundert Volksmusik-Konzerten. Wie fühlt man sich danach?

Ich kann kein Volkslied, keinen Jodler mehr hören, aber: Das ist normal. Wenn du ein Jahr lang immer nur Schnitzel isst, kann es noch so gut zubereitet sein, irgendwann schmeckt es nicht mehr. Ich freu' mich aber auf den Moment, wenn ich mich wieder öffne. Doch nach einem Jahr mit Volksmusik sehnt man sich danach, auch wieder andere Harmonien spielen dürfen.

Inzwischen haben Sie ja auch eine Fußballhymne für die Salzburger komponiert. Stimmt es, dass in Salzburg jetzt immer "Jo, Mei" eingespielt wird, wenn jemand die gelbe Karte bekommt?

Das war nur beim ersten Spiel und nur in der ersten Halbzeit so. Eine Hymne ist es nicht wirklich, sie hat ja keinen Text, nur eine geschrieene Melodie - ein rudimentärer Jodler.

Und um das Resümee eines Jahres zu beschließen: Ihre Klanginstallation in der Rieseneishöhle am Dachstein klingt gar nicht "unterirdisch".

Weil ich meistens Aufträge nur dann annehme, wenn ich etwas probieren will. So eine Komposition für Glocken und Stimme hat mich schon länger gereizt. Ich möchte da auch noch etwas Größeres machen und das war eine gute Gelegenheit, etwas auszuprobieren. Es wäre leicht gewesen, "Höhlensound" zu machen, aber ich hab' gedacht, ich mache etwas, wo nur ich draufkomme. Die Dachsteinhöhle hat ja auch wirklich etwas von einer Kathedrale, da passt das.

Neue Pläne?

Keine konkreten. Ich möchte erst 2007 wieder auf die Bühne und dann auf jeden Fall mit etwas Neuem. Zur Zeit lasse ich die Ideen nur auf mich wirken, anstatt mit ihnen zu arbeiten. Und das will ich noch eine Zeit lang beibehalten, denn eigentlich ist das der kreativste Zustand, später führst du doch eigentlich nur noch aus.

CD-TIPP: Ausland heißt Hubert von Goiserns CD mit Live-Mitschnitten einer Tournee, die ihn durch Österreich, Deutschland, die Schweiz und nach Mali führte – und bei der er Lieder und Jodler seiner Vorfahren hin- und mitreißend aufleben ließ. "Ausland", weil die Musik an Orten aufgenommen worden sei, die für sie Ausland ist: Basel, Trier, Soest, Wien. Dazu packte er die DVD Warten auf Timbuktu, auf welcher uns HvG mit wunderbaren Klängen und Bildern Afrika ganz nahe bringt.

Zufällig Hubert

Wienerin November 2005 | Text: Chris Haderer | Foto: Peter M. Mayr

Österreichs charismatischster Volksmusikant über Wegnehmen, Aufmerksamkeit und Geschehenlassen
- und warum im "Ausland" so viel Heimat steckt

Hubert von Goisern

"Die besten Dinge verdanken wir dem Zufall", meinte dereinst Europas bekanntester Liebhaber Giacomo Casanova. Respekt vor dem so genannten Zufall hat auch Europas bekanntester Goiserer: "Zufälle haben in meinem Leben eine sehr große Rolle gespielt", meint Hubert von Goisern beim Wienerin-Interview in Anif, zu dem er mit dem Motorrad gekommen ist.

Die alpine Lawine rollt. Der wahrscheinlich größte Zufall war, dass ihm Mitte der 80er-Jahre, als er den Wiener Graben mit seiner Ziehharmonika beschallte, ein vorüberkommender CBS-Manager seine Visitenkarte in die Hand drückte. Daraus wurde 1986 dann die "Alpine Lawine", von Hubert von Goisern und den Alpinkatzen losgetreten. "Zum Zufall gehört Aufmerksamkeit", sagt Goisern. "Man muss sein Ego ein bisschen zurücknehmen, um dem Zufall Raum zu geben und zu erkennen, dass man nicht alles selbst bestimmen kann oder muss. Eine große Liebe zum Beispiel, bei der die Welt und die Zeit stehen bleiben, ist im Grunde genomen ein Zufall. Man muss die Begegnung nur geschehen lassen können."

Hubert von GoisernNorddeutsche Jodeln. Ausland heißt sein neuestes Schallwerk. Im Dürer-inspirierten Cover finden sich eine CD mit Live-Mitschnitten der Trad-Konzerttour aus dem Jahr 2004, die all im so genannten Ausland rund um Österreich entstanden, sowie eine DVD, die Hubert von Goiserns Reise zum Festival au Desert in Mali zeigt. Widerstand gegen Titel gab es zunächst von der Plattenfirma, die meinte, "Ausland könne ein paar Leute zu falschen Eindrücken inspirieren.". Goisern ließ sich nicht umstimmen: "Prinzipell ist für mich der Begriff Ausland positiv belegt", meint er. "Ich reise gerne, und als Goiserer ist für mich Wien auch schon Ausland. Außerdem hat mir sehr gut gefallen, dass Ausland draufsteht und in Wahrheit Heimatdrin ist." Dementsprechend traditionell enthält die Silberscheibe wieder durch den Goisern'schen Klangkonverter gejagte Volkslieder, die auch Norddeutsche zum Jodeln bringen, ein "Balanceakt, der meine Leben gestaltet", meint Goisern. Der auf der Warten auf Timbuktu-DVD mitgeschnittene Trip in die Wüste stellt wiederum "einen Abschluss dar. Es war die letzte Tournee, auf der ich ausschließlich Volkslieder gespielt habe." Dass sich der Film als Bonus-DVD im neuen Album findet, ist dem ORF zu verdanken, der die Produktion partout nicht im Alpen-TV ausstrahlen wollte.

Musikalischer Gutmensch. Auch außerhalb des ORF ortet Hubert von Goisern "immer noch eine Menge Leute, für die ich ein rotes Tuch bin. Ich nehme an, das liegt daran, dass ich Volkslieder so spiele, dass sie zu meinen eigenen werden. Manche glauben dann, ich würde ihnen etwas wegnehmen." Auch wenn es für viele Ohren nicht gleich so klingt, ist Hubert von Goisern so etwas wie ein musikalischer Gutmensch. Weniger wegen der doch bodenständigen Texte als den Musikern, mit denen er sich auf Kooperationen einlässt.

Afrika, Tibet, Bad Goisern ... Womit wir wieder beim Zufall wären - wie der Begegnung mit der britischen Schimpansenforscherin Jane Goodall, die Goisern nach Afrika und zum Album Gombe (1998) führten. Eine weitere Zufallsbekanntschaft, Tseten Zöchbauer, Obfrau der Organisation "Save Tibet", leistete wiederum Geburtshilfe für Inexil (1998), die mit tibetanischen Musikern entstand. Dass im Ausland kaum jemand etwas mit seinen Texten anfangen kann, spielt für den Goiserer nicht die Hauptrolle. "Ich brüte zwar relativ lange über meinen Texten, aber das primäre Transportmittel ist die Musik. Und die", ist er überzeugt, "wird im Senegal genauso gut verstanden wie in Hamburg."

Und in Bad Goisern? Dort ist er mittlerweile zum Ehrenbürger gekürt worden, trotz des einstimmigen Widerstands jener Partei, deren Leitfigur, auch ein Goiserer, mit Hubert die Schulbank gedrückt hat. "Das hat es annehmbar gemacht. Trotzdem kommt ein Hamburger mit meiner Musik wahrscheinlich leichter zurecht als jemand aus Goisern, der mit den Liedern etwas ganz anderes verbindet, von dem er sich erst trennen muss, bevor er sich auf meine Interpretation einlassen kann." Auf dem Ausland-Album macht er es seiner Klientel leicht: Von Country bis Western bis Ambros finden sich alle Jodelnuancen.

Und jetzt, ein Soundtrack? Trotzdem: Mit dieser Art Musik muss jetzt ein End' sein, lässt Hubert von Goisern durchklingen und denkt über ein ganz neues Projekt nach: einen Soundtrack. Exakt zehn Jahre nach Schlafes Bruder. Was für ein Zufall.