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GANES

Ganes: Rai de sorëdl

3. Februar 2010
Ganes - Maria Moling, Marlene Schuen & Elisabeth Schuen

Maria Moling, Marlene Schuen & Elisabeth Schuen veröffentlichen ihre eigenes Debütalbum: Rai de sorëdl

Die guten Geister vom Weltbach

Die Dämonen schmiegen sich behutsam an. Sie flirren entlang seelenvoller, eingängiger Melodien. Die Geister springen als Stimmen, mal feenhaft schwebend, dann wieder fest auf dem Boden des Lebens tanzend, zwischen sanften, lieblichen Wellen. Der kleine Fluss, der diese Musik führt, mäandert zwischen weltläufigen und niemals aufdringlichen Ethnoklängen und eingängigen Popelementen. An seiner Oberfläche tut der Klangfluss das friedlich, Aber in der Tiefe entwickelt sich ein kräftiger Sog, Doch keine Angst! Die Dämonen und Geister, die in ihm wohnen, sind drei gute. Sie wollen nichts Böses. Sie wollen gefangen nehmen durch die Schönheit von Klang. Und diese Geister bekommen ihre Stimmen von den Schwestern Marlene und Elisabeth Schuen und deren Cousine Maria Moling. Und nur wenn diese Geister gereizt werden, etwa durch die soulige Tiefe des Basses, durch erdige Gitarren, die in markanten Riffs für kurze Momente die Führung übernehmen, durch ein funkig angehauchtes Geflecht aus Tanzbarkeit und Einfühlsamkeit, dann können sie auch Verwünschungen aussprechen.

Diese Geister heißen in der alpenländischen Mythologie, wie auch der Bandname der drei Südtirolerinnen lautet, "Ganes". Wassernixen oder Feen sind das. Heilige Wesen, die auch so singen und in der Nähe von Quellen und Bächen anzutreffen sind. Dort waschen sie Leinen. Manchmal heiraten sie einen Menschlichen. Und im guten Fall sollen sie so genannte "unendliche Geschenke", also ewige Dinge wie Glück oder Wohlbefinden, bringen. Alte, hässliche Frauen können sie sein oder als junge, attraktive Verlockungen in Erscheinung treten.

Maria Moling, Marlene und Elisabeth Schuen wissen um die Legenden von den Aguanes oder Ganes seit Kindertagen. Rund zweihundert Höhenmeter, jedoch unweit voneinander entfernt sind die drei aufgewachsen. Der Rü d' la Gana verbindet ihre Elternhäuser. Und aus dem stiegen in den Abend- und Morgenstunden - oder wann immer die Eltern die Märchen erzählten - die Ganes auf. In diesem Bächlein, im Dorf La Val, fließt in vieler Hinsicht einiges von dem, was aus diesem Album sprüht.

Wie die Region, aus der die drei Musikerinnen stammen, prägen Lieblichkeit und Romantisierung nur den ersten Eindruck beim Hören. Aber so bedrohlich wie die Kreuzkofelgruppe über ihrem Heimatdorf La Val herrscht, begegnen einem die feinen Tiefen dieser Lieder freilich nicht. Diese Songs haben nichts Bedrohliches, nichts Einschüchterndes. Höchstens die Erinnerung an ewige Sanftheit und an das Gefühl, sich durch gefahrenlose Arkadien zu bewegen, die einen beim ersten Hören beschleicht, könnte all die Feinheiten, mit denen hier Emotionen ausgelotet werden, mit der von den ewigen Geschichten von Liebe und Verlust berichtet wird, verschleiern. Die falsche Fährte in eine reine Schönheit, legt ein fein arrangierter, manchmal liebreizend, manchmal nachdenklicher, niemals aufdringlicher Wohlklang, der vor allem durch die Sprache dieser Lieder provoziert ist.

Gesungen wird Ladinisch. Und wer hört, wie sich hier - in Solo-Strophen ebenso wie in einem betörenden, dreistimmigen Harmoniegesang - diese romanische Sprache in Rhythmus und Melodie fügt, wie sie wellt in weichen Vokalen und kurzen, niemals scharfen Konsonanten, muss sich wundern, warum Maria Moling und Marlene und Elisabeth Schuen die vielleicht ersten Musikerinnen sind, die aus der Wärme ihrer Heimatsprache einfühlsam einnehmend Popmusik schaffen.

Die Wahl der Sprache war kein bewusster Schritt. "Das kommt von allein beim Text schreiben, ganz natürlich", sagt Moling. Es ist die Sprache ihrer Kindheit, in der sie immer noch miteinander reden, träumen. Rund 30.000 Menschen sprechen diese Sprache. Innerhalb der politisch und vielfach auch kulturell autonomen Region Südtirol bildet das Ladinische noch einmal einen ganz eigenen kulturellen Mikrokosmos gebaut aus Mythen und Erinnerungen und im speziellen Fall aus einer klaren, wenn auch zurückhaltend auftretenden Eigenständigkeit. Musik dient dabei jenen, die weggegangen sind, die anderswo leben, als eine besondere Identifikation. Erst recht gilt das, wenn sich jemand aufgemacht hat, um weg von den Orten der Kindheit zu siedeln. Moling und die Schuen-Schwestern gingen weg, um Musik zu studieren in Klagenfurt, Salzburg, Innsbruck und München.

"Singen und Musizieren hatten hohen Wert, sind Teil des Lebens", sagt Marlene Schuen. Dass Instrumente gelernt wurden, war logisch, weil in die Wiege gelegt. Der Vater der Schuen-Schwestern war Kapellmeister der örtlichen Blasmusik. Ob er nicht wollte, dass er irgendwann einmal die eigenen Töchter dirigieren muss, bleibt ein Geheimnis. Jedenfalls riet er seinen Töchtern, es doch lieber mit Streichinstrumenten zu probieren. Gesungen jedenfalls wurde von Kindheit an. Und weil sich die, die aus einem besonderen Kulturkreis stammt, umso mehr und ganz unwillkürlich um Traditionspflege kümmern, ohne dabei in Erstarrung zu verfallen, so sangen und musizierten die drei bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder mal gemeinsam - und irgendwann auch ganz professionell auf Bühnen.

Wer in den vergangenen Jahren Hubert von Goisern auf CD oder auf Tournee begegnete, konnte schon erleben, wie einnehmend der Klang des Ladinischen funktioniert. Marlene Schuen spielt seit 2002 in der Goisern-Band - als Geigerin und Sängerin. Maria Moling, Jüngste des Trios, und Elisabeth Schuen stießen für Hubert von Goiserns Linz Europa Tournee als Backgroundsängerinnen dazu. Moling spielte dabei auch Percussion. Elisabeth Schuen, ausgebildete Opersängerin, spielt wie ihre Schwester Marlene in der Goisern-Band auch Geige.

Bei Proben, im Bauch des Schiffes auf der monatelangen Tournee-Reise auf der Donau, entstand aus dem losen, gemeinsamen Singen der Plan für ein Album. "Wir hatten auf dem Schiff viel Zeit, schrieben Songs, probierten", sagt Elisabeth Schuen. "Das Schiff war der Ort, an dem wir am meisten Zeit gemeinsam hatten, seit wir als Kinder zusammen waren", sagt Moling. Zwischen Frühjahr 2009 und Januar 2010 wurden die 14 Songs in Salzburg und München aufgenommen und gemischt. Verworfen wurde der Plan, das "in verschiedenen Sprachen aufzunehmen".

Die Verbindung aus den Erinnerungen an die enge Heimat und Blicke auf die weite Welt, durch die sie mittlerweile reisen, prägt die Grundstimmung des Albums. Manifest wird sie im Song ći morvöia. Es ist einer jener Songs, den sie zu dritt schrieben. Und es ist jener Song, in dem alles verbunden wird, was dieses Album ausmacht. Es geht um das Fernweh, das einen im heimatlichen Dorf befällt, die Lust auf Neues. Dem gegenüber steht die Sehnsucht nach dem Daheim, wenn man draußen angekommen ist in der Undurchschaubarkeit, in der Hektik, in einer schnellen, undurchdringlichen Welt, der Wunsch nach dem Glück der Geborgenheit. In diesem Song werden die Dämonen des Baches, der an den Heimathäusern vorbeifließt, gebändigt. Die magische Kraft wird diesen Geistern nicht geraubt, sondern zu einer Musik, in der Erinnerung mitschwingt, die aber ihre Wellen längst mühelos in der weiten Welt der Popmusik schlägt.

Rai de sorëdl - Ganes

Rai de sorëdl - Ganes

28.05.10 | 88697660182

  • 01. motivaziun
  • 02. bel`indô
  • 03. jora
  • 04. barcaurela
  • 05. da sóra
  • 06. ći morvöia
  • 07. chissà
  • 08. nia l'dërt
  • 09. en pü'd'amur
  • 10. tristëza é
  • 11. olâ est'pa? (mit HvG)
  • 12. lüna
  • 13. bel müs
  • 14. dorm saurì