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GRENZENLOS TOUR 2002

"Jetzt brauche ich mehr als Rockmusiker"

Kieler Nachrichten 20. November 2002 | Text: Manuel Weber

Hubert von Goisern über Gitarren, Volksmusik und Tradition

Im Gespräch mit den Kieler Szenen erzählt der weit gereiste Volksmusiker vom Spannungsfeld zwischen Konfrontation und kulturellem Kontakt.

Mancher bedauert, dass Sie nicht mehr mit den Alpinkatzen arbeiten...

Ich bin jetzt seit anderthalb Jahren mit neuer Band und neuem Programm auf dem Weg. Das Kapitel ist abgehakt. Das hab ich erlebt und wenn ich es mir heute anhöre oder anschaue ist es wie eine Fotografie aus einer anderen Zeit. Die Alpinkatzen waren ein guterKlangkörper als Rockband, aber für das, was ich jetzt mache, brauche ich mehr als Rockmusiker.

Was müssen die jetzigen Mitmusiker an Impulsen einbringen, was müssen sie mehr können?

Na ja, es ist funkiger, es ist souliger und hat auch differenzierte, jazzige Elemente. Das erfordert eine andere Spielanlage.

Sie haben in vielen musikkulturellen Kreisen gearbeitet. Hat sie das von der heimischen Folklore entfernt oder näher herangeführt?

Ich habe in jungen Jahren den Weg gewählt, wegzugehen von der eigenen Tradition und hinaus in die Welt. Die kulturellen Kontakte ermöglichten mir einen freieren, kreativeren Umgang mit der eigenen Tradition. Das ist ein ewigwährender Prozess, aber ich habe doch inzwischen ein viel entspannteres Verhältnis zu meiner eigenen Tradition als noch vor zehn Jahren, wo ich noch bewusst auf Konfrontationskurs gegangen bin und auch Unmut erregt habe. Das tue ich zwar noch immer, aber es wundert mich, weil ich diesen Konflikt nicht mehr sehe.

Was ist denn Volksmusik überhaupt für Sie?

Es gibt verschiedene Interpretationen und für jeden Menschen ist die Bedeutung der Volksmusik eine andere. Letztlich ist es Musik, die eine spezielle regionale Tradition aufweist, die sich wie ein Biotop auf einem Kontinent, in einem Landstrich oder Tal über Generationen entwickelt hat. Es ist der Versuch, seiner Lebensfreude oder der Trauer Ausdruck zu verleihen. Das hat etwas Identitätsstiftendes, was aber nicht nur positiv ist, denn mit einer spezifischen Identität hat man ja das Problem, dass man außerhalb der anderen Identitäten steht. Da kann die eigene Tradition auch mal hinderlich sein. Aber so ist das Leben, voller Wandlungen, voller Inspiration und gegenseitiger Befruchtung. Und übrigens hat sich auch die Volksmusik im Salzkammergut über die Jahrhunderte immer bewegt und gewandelt. Wenn einer sagt, E-Gitarren haben in der Volksmusik nichts verloren, dann kann ich nur darüber schmunzeln. Die Ziehharmonika, die heute ein natürlicher Bestandteil der Volksmusik ist, hat es vor 150 Jahren auch noch nicht gegeben und ich wette, dass die ersten Ziehharmonikaspieler ein ähnliches Image hatten wie heute einer, der mit einem Synthesizer auf den Plan tritt.

Gibt es etwas, das alle Volksmusiken der Welt verbindet?

Rhythmisch und harmonisch wohl nicht. Volksmusik kann man aber überall über den Bauch aufnehmen. Egal, in welchem Kulturkreis ich mich bewege, ob Polyrhythmik oder pulslose Musik. Ein großer Teil des emotionalen Lebens funktioniert über die Musik. Ein einstimmen, miteinander schwingen in einem Gefühl. Kummer kann sich so beispielsweise auflösen, weil man ihn ja in der Gruppe auch abgibt.

Der suchende Grenzgänger

ka-news 4. Juli 2002

Hubert von Goisern spielt im Murgpark - präsentiert von ka-news

Rastatt - Er ist ein Grenzgänger. Mit den Alpinkatzen ebenso wie als Solokünstler: Hubert von Goisern. Jüngstes Beispiel ist sein Auftritt gemeinsam mit Mohamed Mounir im März in Ägypten. Grenzenlos ist passenderweise auch der Name seiner Tournee, die von Goisern und seine Band am morgigen Freitag, 20 Uhr, auf das Murgpark Open Air in der Pagodenburganlage bei der Badner Halle in Rastatt führt. Das Konzert wird präsentiert von ka-news. Werner Herkert traf den Musiker vor dem Tourneestart.

Du hast eine sehr beeindruckende Konzertreise durch Afrika hinter Dir. Du sagst, Du hast "andere Perspektiven" gefunden. Welche?

Ich habe ganz unterschiedliche Eindrücke innerhalb der Länder gesammelt. In Westafrika ist zum Beispiel ein Kulturbetrieb, wie wir ihn kennen, nicht existent. Die Menschen dort leben von der Hand in den Mund. Musik ist zwar ein Teil ihres Lebens, Konzerte aber sind ihnen fremd.

Wie können wir uns dann dort Deine Konzerte vorstellen?!

Wir haben in jedem Land zwei gegeben. Bei einem haben wir einfach unsere Anlage aufgestellt oder akustische Instrumente ausgepackt und kostenlos gespielt.

Und welche Eindrücke sind am Ende am stärksten haften geblieben?

Alles war so intensiv, dass ich das erst verdauen muss. Zum Beispiel die Session im Armenviertel von Dakar war sehr berührend. Alle meinten, dass wir verrückt seien, dort zu spielen. Sie hatten Angst vor den Leuten. Aber hier wurde ich von niemandem angebettelt. Die Leute sind dafür zu stolz [...] Ich habe jetzt das Gefühl, ich bin nicht mehr so naiv. Was auch seinen Nachteil hat. Ich tue mich sicher in Zukunft schwerer mit meiner Musik.

Unter welchen Vorzeichen stehen Deine weiteren Konzerte oder standen sie im schwarzen Kontinent?

Die Tournee durch Afrika hat mir die Augen geöffnet. Dörfer ohne Strom und Du packst einfach die Ziehharmonika aus und spielst unsere Volkslieder. Es ist doch klar, dass in den Ländern meine eigenen Kompositionen nicht gefragt sind. Da treffen Tradition auf Tradition: Afrika auf Europa, auf Österreich. Das gibt Dir als Musiker eine Sicherheit. Ich habe seit der Reise jedenfalls neuen Respekt vor den kulturellen Errungenschaften, die wir hierzulande haben. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist. Ich bin auch ein bisschen erschüttert. Darum auch naiv.

Wie stehst Du zu Tradition?

Tradition ist Kraft, aber auch ein Rucksack, dem man mit sich herumschleppt. Doch ich lasse mich in der Fremde auf die Menschen, ihre Speisen und ihren Rhythmus ein. Das finde ich das Faszinierende. Das ist für mich lokaler Kolorit. Bei uns ist Tradition meist peinlich. In Afrika stehen die Menschen dagegen zu ihr. Ich habe die Lösung für mich noch nicht gefunden. Denn ich habe auch gespürt wie hinderlich Tradition für die Kommunikation sein kann. Ich denke, Individualität bringt mehr Kommunikation. Last ist auch das "Volkstümliche". Und als Hauptlast sehe ich Tradition in Verbindung mit Nationalstolz.

Wirst Du nochmals eine Afrikatournee machen?

Die Tournee war so anstrengend, dass ich sie keine Woche länger ausgehalten hätte. Und das erging allen in der Band so. Es war oft das absolute Chaos. Nichts war wie ausgemacht und irgendwann ist dann das Toleranzpotential erschöpft. Es hat mir, es hat jedem von uns alles abverlangt.

Es wird ja eine neue CD von Dir auf den Markt kommen. Sie heißt wie Deine aktuelle Tour Grenzenlos. Wann ist die Scheibe fertig - bis Herbst?

Ich hoffe es, aber ich kann ja jetzt nichts tun. Sommer-Tournee, dann Urlaub mit der Familie,... Aber vielleicht passiert ja ein Wunder. Sonst wir die CD 2003 erscheinen.

Bist Du eigentlich gerne auf Tournee oder ist es ein notwendiges Übel - um Platten zu verkaufen und um im Gespräch zu bleiben?

Ich toure sehr gerne. Aber es dauert immer bis ich in der Tourneemaschinerie drin bin. Für mich ist das Livespielen kein notwendiges Übel. Am Ende einer Konzertreihe habe ich sogar richtig Entzugserscheinungen. Die Kreativität ist aber während einer Tournee bei mir abgesperrt.

Zu Deinen Open Air-Konzerten: Worauf können sich Deine Besucher freuen?

Auf meine alten und einige neue Musiker und eine Sängerin in der Band. Meine CD Fön habe ich aus einer Stille heraus geschrieben. Nach einer Pause von sechseinhalb Jahren. Alles kam aus der Langsamkeit heraus - eine introvertierte CD, wie auch dann ihr Nachfolger Trad. Jetzt, nach 100 Konzerten bin ich wieder lauter und schneller geworden. Mehr als die Hälfte meines Konzertes besteht aus zehn neuen Liedern. Der zweite Teil ist nicht gerade eine "Best Of"-Version, aber dafür eine "Loudest Of" - alles ist lauter und tanzbarer.

Deine Hallentournee war ja restlos ausverkauft. Du musstest viele Zusatzshows spielen. Welche Erwartungen hast Du nun für die Sommer-Tournee?

Die ausverkaufte Hallentournee hat mich sehr überrascht. Ich war sehr glücklich, dass die Leute meinen Weg mitgegangen sind. Ich hatte es mir gewünscht und erhofft. Aber ich war Zweckpessimist, denn ich hatte eine sehr zurückhaltende Erwartung. Nun, was mein neues Programm angeht, war der erste Test am 11. Mai in Bad Reichenhall vor heimischem Publikum. Die Leute haben das Konzert damals sehr gut angenommen. Und das obwohl ich es ihnen nicht leicht gemacht habe. Anfangs habe ich nur neue Lieder gespielt. Die alten Lieder sind für mich auch eher Stiefkinder. Aber ich hoffe, dass sich das während der Tournee auflöst.

Auf Deinen alten Pressefotos hattest Du sehr kurze Haare - fast eine Glatze. Nun sind Deine Haare länger - das ist ja oft ein Zeichen für einen Wandel. Bist Du ein "neuer Mensch"?

Ich glaube nicht. Ich bin im Kern noch immer der Selbe. Aber ich bin ein Suchender: die Herausforderungen und die Grenzen. Deshalb auch der Tournee- und CD-Titel Grenzenlos!

Hubert von Goisern: Familienvater und Erfinder des Alpenrock

Mühldorfer Anzeiger 10. Juli 2002

"Fürs Hiatamadl schäme ich mich nicht"
Der Österreicher spricht über seine Vergangenheit, die Fans und die Zukunft

Noch eine Stunde bis zum Auftritt. Doch von Hektik ist bei Hubert von Goisein - alias Hubert Achleitner - noch nichts spüren. Wegen einer Probleme beim Bühnenaufbau (siehe unten) verzögerte sich der Soundcheck. Der 49jährige sitzt auf einer Decke im Gras vor der alten Stadtmauer, liest in den, gesammelten Werken von Max Frisch und ist die Ruhe selbst.

Gemütlich haben Sie es hier...

Naja, mir wäre es lieber, wenn die ganzen Autos nicht wären.

Sie sind ja schon seit gestern Abend in Mühldorf. Was haben Sie denn heute tagsüber noch gemacht?

Ich habe mich ausgeschlafen, bin dann kurz gebummelt und habe mir Aspirin C gekauft, weil ich seit drei Tagen einen Schnupfen habe. Und ein paar Kirschen und zwei Flaschen Rotwein habe ich auch noch besorgt. Angesichts des Glücks im Unglück beim Aufbauen ist es ein sehr schöner Tag bis jetzt.

Sie müssen sich hier ja richtig heimisch fühlen. Mühldorf hat schließlich immerhin über 1000 Jahre zu Salzburg gehört...

Ja, das habe ich gelesen. Der süddeutsche Raum ist aber schon lange ein Teil meiner Heimat. Ich habe hier sicher viel mehr Konzerte gespielt als in Österreich. Hier gibt es ein sehr dankbares und aufmerksames Publikum. Und es unterscheidet sich auch landschaftlich kaum vom Salzburger Land.

Erinnert Sie in Mühldorf irgendetwas an Goisern?

Nein. Goisern ist viel kleiner. Und es liegt mitten in den Bergen und Berge sehe ich hier aber überhaupt keine.

Unfall beim Bühnenaufbau

Für ein paar Minuten sah es so aus, als müsste Mühldorf auf den Auftritt von Hubert von Goisern verzichten. Beim Bühnenaufbau krachte gegen 16 Uhr die Lichttrasse herunter. Die Träger hatten dem Gewicht der Beleuchtung nicht stand gehalten. Bei dem Unfall wurden zwei Bühnenarbeiter leicht verletzt. Einer davon war abends beim Konzert bereits wieder im Einsatz, der andere ruhte sich mit einer leichten Rippenprellung zu Hause aus. Mit vereinten Kräften wurden neue Träger herbei geschafft und die Bühne bis zur letzten Minute konzerttauglich gemacht. Der Soundcheck fand deshalb zwei Stunden später um 20 Uhr statt.

Hubert von Goisern konnte die rund 1000 Besucher erst um 20.45 Uhr live begrüßen, mit einer Dreiviertelstunde Verspätung. "Ich bin froh, dass nicht mehr passiert ist und angesichts eines solchen Glücks kann heute Abend eh nix mehr schief gehen", sagte der Künstler. Und es ging auch nichts mehr schief, sondern wurde ein außergewöhnlicher Konzertabend.

Jetzt kommen zu Ihren Konzerten viele Besucher, die immer noch nach den alten Hubert von Goisern im Kopf haben und das Hiatamadl hören wollen.

Es kann schon sein, dass auch heute wieder einige da sind, die gerne das Rad der Zeit zurückgedreht hätten. Aber es sind inzwischen zehn Jahre den Inn runter geflossen. Und die kann man eben nicht rückgängig machen. Bei mir hat sich in dieser Zeit einiges verändert und bei den Zuhörern sicher auch. Ich für mich finde es viel spannender, mein Interesse, meine Neugier und die Herausforderungen, die ich spüre, richtig wahrzunehmen, als etwas Altes immer wieder aufzuwärrnen. Nicht dass ich dem Hiatamadl oder den alten Sachen überdrüssig wäre. Ich habe diesen Liedern sehr viel zu verdanken, aber das Leben geht weiter.

Spielen Sie das Hiatamadl überhaupt noch?

Nein, das habe ich seit 1994 nicht mehr gespielt. Doch einmal, 1997 habe ich es alleine in Tibet mal aufgeführt. Ich habe da einfach keinen Zugang mehr dazu. Diese Phase habe ich ausgelebt, sehr intensiv sogar. Das Lied jetzt in ein neues Gewand zu packen oder "zu modernisieren" in irgendeiner Form, das fände ich verkehrt. Und es gibt eh genug Leute, die den Song nachspielen.

Aber peinlich ist es ihnen nicht.

Nein. Das gehört zu mir, ist ein Teil meiner Geschichte, so wie meine Jugend auch dazu gehört. Es gibt nur ganz, ganz wenig Sachen in meinem Leben, für die ich mich schäme...

... zum Beispiel?

Nein, da sage ich jetzt nichts dazu. Aber das Hiatamadl gehört nicht dazu.

Wie ist denn das Verhältnis zu ihren Fans? Heute Abend kommen über 1000 zu diesem Konzert. Das ist für Mühldorf eine halbe Völkerwanderung.

Ich bin jedenfalls froh dass es Leute gibt, die sich für meine Musik interessieren und meinen Weg mitgehen. Da hat mich mein eigenes Publikum oft selbst überrascht, wie offen es ist für Experimente mit afrikanischer oder tibetischer Musik. Ich bin grundsätzlich jemand, der' Musik für sich macht und bin immer wieder erstaunt, dass es funktioniert. Vielleicht ist es auch eine Gabe, die mir in die Wiege gelegt worden ist, dass es mir immer wieder gelingt, die richtigen Töne zusammenzusetzen oder die richtigen Leute auf die Bühne zu stellen

Was bringt die Zukunft? Gibt es etwas, das Sie noch unbedingt ausprobieren wollen?

Ja, da gibt es gerade genug. Zum Beispiel für ein größeres Orchester etwas schreiben. Oder Sachen, die nichts mit Musik zu tun haben, zum Beispiel einen Film drehen.

Vielleicht noch ein Instrument lernen?

ich bin ja ein sehr fauler Mensch, der nicht üben will. Wenn ich etwas anlange, dann mache ich Musik damit. Und wenn mir das nicht gelingt, dann lasse ich es wieder. Geige spielen kann ich zum Beispiel gar nicht. Alleine bis du en Bogen so führst, dass ein schöner Ton rauskommt, das dauert mir zu lang. Ich sehe das bei meiner Tochter. Die ist jetzt acht Jahre alt und spielt viel besser, als ich es je können werde. Das ist eh schon der Beweis, dass ich meine Limits habe.

Wenn die Welt kleiner und größer wird

Naturfreund 3/2002 | Text & Fotos: Fritz Kalteis

Hubert von Goisern hat ein neues Programm, dessen Feuertaufe in Afrika über die Bühne ging. Im Naturfreund-Interview, das Fritz Kalteis mit ihm in Afrika führte, spricht er über den Rhythmus des Lebens, philippinische Nasenflöten und seine Beziehung zur Straßen- und Volksmusik.

Hubert von GoisernIrgendwo im Senegal, Sonnenuntergang. Am Strand von Foundiounge im Delta des Saloumflusses spielt ein kleiner Bub im Sand und singt vor sich hin. "Holareidulliöööhhh! " - Er jodelt. Kein Wunder, denn Hubert von Goisern ist in der Stadt. Für vier Wochen hat sich im Frühjahr die Lichtgestalt der österreichischen (Welt-)Musik samt Band aufgemacht, um Agypten, Kap Verde, Senegal und Burkina Faso zu bereisen. Im Gepäck das neue Programm für die Ende Juni 2002 be-ginnende Tour und die Hoffnung auf viele fruchtbare Treffen mit einheimischen Musikern.

Was erhoffst du dir von dieser Afrikareise?

Ich wünsche mir, dass das Programm etwas von diesen Einflüssen mitkriegt, allerdings auf einer eher unbewussten Ebene. Meistens merke ich das erst nach einem halben Jahr, wenn ich über me-ine Arbeit reflektieren kann. Dann sage ich: "He, schau, das ist ein Rhythmus, den wir da unten gehört haben." Und weil ich der Meinung bin, dass Afrika der GrooveKontinent schlechthin ist, kann das dem Programm nur gut tun. Die Musik des Abendlandes ist reich an Harmonien und Melodien. aber arm an Rhythmus. Unsere Volksmusik ist nie so komplex wie in Afrika oder etwa in Indien.

Was passiert bei Begegnungen mit Musikern?

Für mich ist Musik eine Sprache, die durch den Bauch geht. Musiker reden mit ihren Instrumen-ten und Stimmen miteinander. Es ist eine Herausforderung, nach dem zu suchen, was eine Geme-insamkeit mit anderen Menschen und Kulturen herstellt. Wenn das passiert, egal ob in Kenia mit Massai oder in Tibet, stellt sich ein Gefühl der Weltharmonie ein. Die Welt wird kleiner und gleichzeitig größer. Größer, weil sie mich reicher macht, weil Menschen und Länder sehr nahe rücken und ein Teil von mir werden. Kleiner, weil alles erreichbarer wird und nicht mehr nur theo-retisch existiert. Das Reisen ist ja sehr interessant: Du weißt, dass es Städte wie Kairo, Dakar, Delhi oder New York gibt. Aber erst wenn du dort hinkommst und siehst, dass dort Autos fahren, Menschen die Straßen bevölkern, kochen, ihre Kinder stillen, schauen, wie sie mit dem Leben zurechtkommen, erst dann werden die schwarzen Punkte auf den Landkarten lebendig.

Hubert von Goisern gibt mitten auf der Straße in den Slums von Dakar ein Konzert - schließt sich da ein großer Kreis?

Ich habe früher immer wieder Straßenmusik gemacht. Da stellst du dich hin und spielst dich weg. Ich mache dabei immer die Augen zu. Es gibt keinen Zwang, es geht um die Freude am Spielen.

Du hast deiner Zeit als Straßenmusiker viel zu verdanken ...

Ja, das Wichtigste: Ich habe meinen ersten Plattenvertrag in der Wiener Innenstadt am Graben abgeschlossen! Ich spiele, spiele und mache die Augen auf, als ein Typ in Trenchcoat und Aktenkoffer vor mir steht. Willi Schlager von CBS. Er würde gerne eine Platte mit mir machen. Also habe ich angefangen, Nummern zu schreiben. Das hat ein Jahr gedauert, und damit er mich nicht vergisst, habe ich ihm jeden Monat Durchhalteparolen auf selbst gemalten Postkarten geschrieben. "Eile mit Weile", "Gut Ding braucht Weile", "Kommt Zeit, kommt Rat Er war so neugierig und ungeduldig, dass er im Falter, im Kurier und in der Kronenzeitung sogar Inserate aufgegeben hat: "Hubert von Goisern, bitte melden, Willi." Nach einem Jahr war meine Kassette fertig. Ich bin hin, hab angeklopft, und er hat "Do bist endlich!" geschrieen. Das war wie im Film. Damals habe ich zum ersten Mal mit Hubert von Goisern unterschrieben. Da war ich 36.

Wie hast du den Zugang zur Volksmusik gefunden?

Es gibt keine Musik, die ich prinzipiell ablehne. Grundsätzlich gibt es nur Musik, die gut oder schlecht gespielt wird. Es geht mehr um das Wie als um das Was. Früher waren für mich Leutel die Volksmusik spielen, reaktionäre Typen, die alles ablehnen, was nichts mit Volksmusik zu tun hat. Mit dieser Szene wollte ich nichts zu tun haben. Ich wollte ohnehin nicht so wie alle spielen. Erst auf den Philippinen bin ich draufgekommen, was Volksmusik wirklich heißt, was Tradition sein kann. Da, wo ich war, haben alle alle Lieder singen können. Das ganze Dorf hat gesungen und getanzt, die einen schlechter, die anderen besser. Da gibt es nicht diejenigen, die musizieren, und die, die zuhören. Ich habe von den Philippinen einen Packen Flöten und Bambusinstrumente mitgebracht. Ich habe mir gedacht, jetzt mache ich Karriere mit der Nasenflöte. Ich habe auf den Philippinen nur einen Nasenflötenspieler kennen gelernt, der dieses Instrument noch spielen konnte. Das war in einem militärischen Sperrgebiet in Kalinga, in dem sich die Rebellen von der New People's Army verschanzt hatten und in dem es noch Kopfjagd und Blutrache gab.

Dennoch wollte ich dorthin, weil das die letzte Bastion traditioneller Instrumente war. Einmal im Jahr gibt es in Sagada ein Festival der Volksmusik. Ich war der erste Nichtfilipino, der dort aufgetreten ist. Sie haben mich gefragt, ob ich Nasenflöte spielen will, weil es keinen einheimischen Nasenflötenspieler mehr gab. Also habe ich das vorgeführt.

Hubert von GoisernAuch bei uns gehen Traditionen verloren ...

Ich mag gelebte Kulturen sehr. Bei uns ist alles sehr industrialisiert. Da tanzt fast nur mehr einer, der das als Beruf hat, es wird nur mehr musiziert, wenn ein Publikum dafür da ist. Dieses Selbstverständliche, das Musik und Tanz auch hier in Afrika haben, das ist schön. Dieses ungezwungene Spielen, bei dem am Ende nicht irgendwer applaudieren muss, geht mir ab. Wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, ist es sehr schwer, so etwas zum Beispiel in einem Wirtshaus zu machen. Weil in dem Moment, in dem ich einsteige, heißt es: "Uhhh, jetzt spielt der Hubert von Goisern." Dabei will ich ganz ungezwungen und ohne größere Aufmerksamkeit musizieren.

Dennoch hat dir deine Popularität dazu verholfen, musikalische Projekte etwa mit Tibetern anzugehen.

Ich hätte das ohne das Hiatamadl sicher nie machen können, so naiv bin ich nicht. Die Tibeter habe ich auf ihrer Tour durch Österreich, die ich mit moderiert habe, kennen gelernt. Nach diesen zwei Wochen habe ich mir gedacht: "Das muss ich mir jetzt anschauen!" Nach dem Tibetbesuch war ich so geladen, dass ich das musikalisch zum Ausdruck bringen musste. So ist die Zusammenarbeit mit den Tibetern und die CD lnexil entstanden.

Welche Erfahrungen hast du in Tibet gemacht?

Ich habe dort überhaupt keine Musik gehört - nur einen einzigen verlorenen Lautenspieler in Lhasa! In Tibet gibt es keine Kulturszene mehr. Weil sich die Tibeter durch ihre Kultur darstellen könnten, wird sie unterbunden. Außerdem würden die Tibeter keine Protestsongs schreiben, die sind da anders drauf. Sie lehnen sich nicht gegen irgendetwas auf, sie sehen alles unter den Ge-sichtspunkten des Karmas.

Wie ist deine Beziehung zur Kirche?

Ich habe dem Erzbischof Eder in Salzburg die CD Katholisch persönlich überreicht. Über eine Stunde war ich bei ihm, und von dieser Stunde hat er 55 Minuten geredet. Er hat immer um Inspi-ration nach oben geblickt, hat mir ganz selten in die Augen geschaut und dann gleich wieder nach oben. Ich glaube, das ist das Problem vieler Pfarrer, dass sie zu viel predigen und nicht mehr zuhören können. Ich bin vor zehn Jahren ausgetreten, weil ich die Kirche für ein patriarchalisches System halte, das mit meiner Lebenseinstellung nicht vereinbar ist. Am Magistrat wollten sie einen Austrittsgrund haben. Da habe ich das genau so in Blockschrift hingeschrieben.

Zu reisen scheint ein wichtiger Teil deines Lebens zu sein.

Eine Reise ist eine Ausnahmesituation: Durch die völlig andere Kultur, durch die andere Körper-sprache, durch den Umgang mit anderen Menschen bist du mit allen Sinnen ständig gefordert. Aber ich brauche auch Zeit, in der ich alleine bin, in der ich meine Gedanken schweifen lassen kann und meine Füße von selbst gehen lasse und nicht vom Kopf aus sage: Das ist das Ziel. Die-ses Sichtreibenlassen und Ins-Narrenkastel-Schauen brauche ich.

Führst du ein Tagebuch?

Ja, in das trage ich immer wieder Sachen hauptsächlich zur Selbstreflexion ein. In dem Moment, in dem ich was hineinschreibe, muss ich meine Gedanken, meine Gefühle formulieren, und dann wird mir vieles oft klarer. Ich hadere auch immer wieder mit Situationen und stehe nicht so drüber, wie das in Interviews rüberkommt Wenn man mit was hadert, sollte man zuerst schauen, dass man selbst damit fertig wird. Aber es gibt eine Grenze, ab der man Dinge nicht mehr nur mit sich selbst austragen sollte.

Denkst du darüber nach, ein Buch zu schreiben?

Bücher zu schreiben ist etwas, was ich seit Jahren machen möchte, aber wofür ich nie die Zeit gefunden habe. Ein oder zwei Jahre lang zu schreiben fände ich schon spannend. In welcher Form weiß ich noch nicht - vielleicht eine Mischung aus Aphorismen, philosophischen Betrachtungen und Reiseeindrücken. Es würde mich auch reizen, einen Roman zu schreiben. Ideen habe ich genug.

Welchen Titel würde ein Buch über deine Afrikareise tragen?

Das Erste, was mir einfällt, ist "Afrika". Da schwingt schon so viel mit. Ein Buch über die Reise kann ich mir jedoch nicht vorstellen. Eher, Geschichten in diesem Kulturraum anzusiedeln, mit der berühmten Sicht von außen. Ich bin ja kein Afrikaner, werde auch nie einer sein. Die Begriffe Heimat und Zuhause verändern sich durch solche Reisen auch ständig. Ich habe früher den Anspruch gehabt, dass ich dort, wo ich hinfahre, irgendwann daheim bin, dass ich das schaffe. jetzt habe ich schon viele Reisen am Buckel. Ich weiß, dass mich die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, sehr geprägt hat. Ich freue mich immer aufs Heimkommen. Auf die Hildegard, meine Frau, auf die Kinder, auf die Arbeit, die jetzt wartet, also das Einspielen des Albums. Genauso wie ich mich auf die Reise gefreut habe, freue ich mich auf das, wasjetzt daherkommt.

Siehst du es als Privileg, Musiker zu sein?

Ich sehe es als Privileg, dieses Leben führen zu dürfen, dass ich meine Träume erfüllen kann. Dass ich Musiker finde, die mit mir zusammenarbeiten wollen, dass ich Erfolg habe, dass ich mir das auch leisten kann, dass ich eine Familie habe, die mich unterstützt - alle diese Sachen sind ein Privileg. In der Zeit, in der ich als Musiker von der Hand in den Mund gelebt habe, habe ich erfahren, dass man eigentlich ganz, ganz wenig braucht. Und dass es wichtiger ist, zu tun, was einem Spaß macht und einem am Herzen liegt, als Kompromisse einzugehen. Ich bin auch nicht einer, der auf "Urlaub" fährt. Urlaub wovon? Vom Leben? Ich lebe mein Leben so, dass ich jeden Tag sagen kann: "Mir taugt das, was ich tue."

Schneller, lauter, extrovierter

Südwest-Aktiv 6. Juli 2002

Mit den Stücken seines Albums Fön war Hubert von Goisern im vergangenen Jahr auf einer langen Erfolgstour. Nun kehrt der Alpenrocker mit einem neuen, quicklebendigen Grenzenlos Programm auf die Bühne zurück.

Sie haben wieder viele neue Songs in ihrem aktuellen Live-Programm. War es an der Zeit, sich schon wieder selbst neu zu erfinden?

Letzten Sommer ist es passiert, da habe ich nach dem zweiten Tour-Block eine andere Energie gespürt. Ich musste Lieder schreiben, die diesem Gefühl entsprachen und habe mich dabei wieder ein Stück gehäutet.

Was heißt das genau?

Die Stücke sind lauter und schneller. Das ist auch durch's Auftreten vor Publikum gekommen. Wenn du hundert Konzerte gespielt hast, ist es anders, als wenn du aus der Stille heraus, weit weg von der Bühne, deine Lieder schreibst wie bei Fön. Diese Platte war introvertierter, die neuen Stücke sind sehr extrovertiert.

Was wird man denn nun zu hören bekommen?

Eigentlich fast dasselbe, was wir im Frühjahr bereits in Ägypten und auf den Kapverden gespielt haben. Etwa zur Hälfte das Programm des vergangenen Jahres. Und viel Neues.

Sind Sie böse, wenn man Ihren neuen Sound ein wenig mit dem von Manu Chao vergleicht?

Nein, überhaupt nicht (grinst).

Werden live schon Einflüsse von ihren letzten Musik-Reisen nach Afrika zu hören sein?

Nein, so schnell geht das bei mir nicht. Ich bin da nicht hingefahren, um dieses Programm befruchten zu lassen. Die Erlebnisse haben mich sicher geprägt und einiges von dem, was ich mache, in Frage gestellt oder mich bestärkt. Aber so wankelmütig bin ich nicht, dass ich mir jetzt denke, jetzt muss ich etwas ganz anders machen. Ich denke, da wird in ein paar Jahren einiges bewusst und unterbewusst in meine Arbeit einfließen.

Welche Eindrücke haben Sie von den letzten Reisen mitgebracht?

Das Empfinden für meine Tradition ist ein tieferes geworden, in manchen Aspekten zweifle ich mehr denn je daran. Unsere Art von Rhythmik zum Beispiel, die hat etwas. Auch wenn ich die Musik in Dakar spiele, habe ich ein gutes Gefühl. Selbst wenn das Publikum mit Fragezeichen in den Augen dasitzt. Die Erfahrung, dass das Publikum trotz aller Skepsis keine Zweifel bei mir auslöst, die war mir schon viel wert. Ich habe auch erlebt, wie ein Verhaftet sein und Beharren in einer Tradition ein Schutzmechanismus sein kann, sich mit anderen Dingen nicht auseinandersetzen zu müssen.

Dafür wird in Westafrika Kultur, vor allem Musik, richtig gelebt.

Es gibt dort keinen Kulturbetrieb, wie wir ihn kennen. Der kann nur in einem Überfluss funktionieren, in dem Leute überflüssige Zeit und überflüssiges Geld haben und nicht wissen, ob sie jetzt Paragliden, ins Kino oder ins Konzert gehen sollen. Dort sind die Leute fast ausschließlich damit beschäftigt, ihre Familie zu ernähren. Die Kultur ist dort allerdings eine sehr lebendige und integriert ins tägliche Leben. Es wird zu allen Anlässen gesungen, getrommelt und getanzt. Da gibt es keinen DJ. Da singt dann halt das halbe Dorf und die andere Hälfte tanzt mit.

Und Sie waren mitten drin?

Wir haben auch in Ghettos gespielt. Da sagte man uns vorher, wir kämen nie wieder lebend raus, aber ausgerechnet da, bei den Leuten, die nichts haben, sind wir nie angeschnorrt oder gemobbt worden. Da haben wir unser Zeug aufgebaut und gespielt - vor 2000 Leuten, die noch nie ein Konzert erlebt haben und schon gar nicht so eine Musik. Da haben plötzlich Mädels, nachdem sie die ersten Jodler gehört hatten, gejodelt, als ob sie das schon immer gemacht hätten. Da sind Leute auf die Bühne gesprungen, haben sich ein Mikrofon geschnappt und gesungen, als wenn sie dazu gehören würden. Wahnsinn war das.

Sie spielen beim Internationalen Donaufest in Ulm. Haben Sie eine Affinität zu anderen Donauländern?

Ich bin zwar nur an der Traun aufgewachsen, einem kleineren Fluss, der in Linz in die Donau mündet, aber das Thema interessiert mich sehr. Schon wegen der hitzigen Diskussion um die Ost-Erweiterung in Österreich. Die Freiheitlichen und die Rechten wollen sich ja abgrenzen, weil das nur Geld kostet. Ich bin für Öffnung, sonst würde ich nicht eine Tournee spielen, die Grenzenlos heißt. Ich fühle mich diesem Gedanken, diese Länder einzubinden, sie kennen zu lernen und mit Menschen aus diesen Ländern Konzerte zu spielen, verbunden. Ich hoffe, dass das auch passiert. Und nicht nur in Ulm.

Sehen Sie auch Probleme in der Öffnung der östlichen Länder und im Engagement des Westens?

Ich habe in den letzten Jahren viele Leute kennen gelernt, die mit dem Osten dealen. Das sind zu 90 Prozent Schlitzohren. Die gehen da runter, weil es dort etwas zu holen gibt und nicht, weil sie einen inneren Auftrag zur Verständigung und Öffnung oder Kultur im Sinn haben. Da gibt es die übelsten Menschen. Die meisten mit Anzug und Krawatte.