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TIBET

Hubert von Goisern im Gespräch

Stadtzeitung Kitzbühel April 2002 | Text: Simon Schreyer

Der ehemalige Chefrocker der Alpinkatzen hat sich mit eigenwilligen, kulturübergreifenden Musikprojekten und feingestimmten Filmscores (Schlafes Bruder) schon lange freigespielt und ist eine der wenigen öffentlichen Personen in Österreich, die mit medienkritischen und wirtschaftspolitisch "heiklen" Statements zum Thema Tibet und chinesische Besatzung nicht hinterm Berg halten: Seit Mitte der Neunziger ist der Ausseeländer um das Anliegen der verschwindenden tibetischen Kulturgemeinschaft, hierzulande Repräsentation zu finden, erfolgreich bemüht.

Zum "Making Of" der Ausstellung "Peter Aufschnaiter und Tibet" in Kitzbühel fand er für ein ausführliches Gespräch Zeit: Mit seinem selbsterwählten Seelenverwandten Aufschnaiter teilt Hubert von Goisern die angenehm bescheidene Ausstrahlung eines Mannes, der schon viele Wege alleine gegangen ist und geistige Unabhängigkeit als Voraussetzung für eine freie Sicht auf die Dinge der Welt schon früh für sich entdeckt hat.

Gerade von einer vierwöchigen Afrikatournee zurückgekehrt, wirkt er erschöpft aber konzentriert. Gekleidet in eine schwarzweiß gemusterte Wolljacke und in Begleitung seines beinahe meditativ gutmütigen Schlittenhundmischlings Bongo, der die Schnauze auf die schnürsenkellosen, schweren "Goiserer"-Bergschuhe seines Herrn bettet, zündet er sich trotz leichter Erkältung eine selbstgedrehte Zigarette an. Als ob ihm persönliche Distanz zu seinem Gegenüber unangenehm wäre, bietet er mir das "Du"-Wort an.

Das Gebirge prägt sowohl die Landschaft Tibets wie auch die Tirols, der Heimat von Peter Aufschnaiter. Wie wichtig sind Berge in Deinem Leben ?

Die sind enorm wichtig für mich. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich in ihnen aufgewachsen bin - wäre ich am Meer geboren, würde ich wahrscheinlich dem Wasser so innig verbunden sein oder ein Nomade wird sicher ähnlich für die Wüste empfinden. Bei mir sind es eben die Berge. Wenn ich länger keine sehe, gehen sie mir ab. Die flachste Gegend, in der ich gelebt habe war Toronto, wo ich fast ein bisschen depressiv geworden bin, weil mir die Berge so gefehlt haben. Mir wurde empfohlen, ich solle doch rauffahren auf den Toronto-Tower - das war es dann aber auch nicht wirklich... (schmunzelt)

Was reizt Dich am Bergsteigen?

Beim Aufstieg auf den Berg, wenn man sich ein wenig quält und schwitzt und sich ganz auf die Atmung konzentriert, lässt man sehr viel überflüssigen Ballast zurück - Alltagsprobleme, die hinter einem ganz klein und unbedeutend werden, wie die Autos im Tal drunten. Man steigt immer ein Stückchen weiter auf, nähert sich einem Gipfel und kann dabei runterschauen auf die niedrigeren Berge, das ist fast wie eine Reinigung. Gerade in Zeiten, in denen sich alles irgendwie ökonomisch auszahlen muss, und was sich nicht "rentiert" einfach wegrationalisiert wird, tut es gut so etwas sinnloses zu tun, wie auf einen Berg zu steigen und wieder runterzugehen.

Wann hast Du begonnen Dich für Tibet zu interessieren?

Über Tibet habe ich schon sehr früh gelesen und mit vierzehn habe ich so einen kleinen Blechglobus geschenkt gekriegt, da habe ich zunächst geschaut was es so alles gibt auf der Welt und wo man überall hinfahren kann.

Da drauf waren die Berge braun angemalt und ich habe den Globus herumgedreht um zu sehen wo die höchsten Berge sind und da habe ich Tibet gesehen: Der braunste Fleck auf der Kugel.

Wann warst Du das erste mal im Himalaja?

Vor siebent Jahren. Als ich 1995 mit Tseten Zöchbauer (Betreiberin des Tibetischen Kulturhauses in Wien; Anm. d. R.) hinflog, war ich zunächst fasziniert von der Kargheit und Weite dieses Landes und erschüttert über die Situation in der die dort verbliebenen Tibeter leben müssen. Tseten, die ja Tibeterin ist und mit zwei Jahren nach Europa auswanderte, hat lange Zeit große Angst gehabt, zurückzukehren aber ich konnte sie beruhigen: Da sie Schweizer Staatsbürgerin ist und ich eine öffentlich bekannte Person, würde es für großes mediales Aufsehen sorgen, falls uns etwas zustoßen sollte. Das war unser Schutz.

Wie seit Ihr beiden Euch eigentlich begegnet?

Ich habe sie 1994 in Saalfelden kennen gelernt, als sie bei mir anfragte ob ich nicht die "Schutzherrschaft" über ihre Kindertheatertruppe übernehmen wolle. Ich habe nach kurzem Überlegen ob sich so eine Patenschaft bei mir überhaupt zeitlich ausgeht, zugesagt und seither sind wir eng befreundet.

Wie ging Eure Reise weiter?

Dort angekommen, musste ich mich zunächst daran gewöhnen, dass die Durchschnittsmeereshöhe bei etwa 3500 Metern liegt. Die ersten zwei Wochen kann man kaum Schlaf finden und spürt den Sauerstoffmangel so stark, dass einem alles wie eine Vision vorkommt. Unter diesen Umständen war die Erfahrung des Besatzungsalltags noch ärger.

Wenn man bedenkt wie karg die tibetische Landschaft ist, ist es wirklich absurd, dass gerade so ein Land besetzt wird. Das ist so als würde jemand beschließen, den Großglockner zu besetzen um dort Bodenschätze abzubauen, aber mit einem gewissen Abstand betrachtet, haben die Chinesen infrastrukturell schon einiges geleistet und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Gesellschaftssituation vor dem Einmarsch nicht nur leiwand (toll) war.

Ich habe das auch gemerkt als ich in Dharamsala (Exil seiner Heiligkeit des Dalai Lama im nördlichen Indien) war: Es gibt dort ein unglaubliches hierarchisches System mit alteingesessenen Adelsgeschlechtern. Dort habe ich enorme Kämpfe mit dem damaligen Direktor des tibetischen Kulturinstitutes ausgestanden.

Worum ging es da ?

Ich wollte, dass die Musiker mit denen ich an der Platte (InExil, Ariola, 1995) zusammengearbeitet habe am Verkauf derselben beteiligt sind, worauf jener meinte, das müsse alles er kriegen um es als Leiter des Institutes umzuverteilen. Da sind dann, überspitzt gesagt, zwanzig Nasenbohrer unterwegs und vier Leute, die wirklich wunderbare Musiker sind und die Anstrengung auf sich genommen haben, die Platte einzuspielen - ein Prozess bei dem wochenlang Kreativität gefragt ist. Ich fand, nur die vier, die etwas wollen und auch etwas können, sollten auch davon profitieren. Das hat der nicht verstanden und gegen mich intrigiert bis zum Gehtnichtmehr. Es war mein Glück den Dalai Lama zu kennen, der sich dann für mich eingesetzt hat, aber es hat Wochen gedauert, bis der Kulturinstitutsleiter aufgehört hat zu opponieren.

Welchen Eindruck macht der Dalai Lama auf Dich ?

Der ist echt super! Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Zeit und ein ganz, ganz lieber Mensch, der es auch nicht einfach hat, weil er an der Spitze einer sehr ausgeprägten Hierarchie steht, die oft sehr pedantisch und traditionell ausgeprägt ist. Er ist sehr interessiert an allem, unglaublich offen und betrachtet sich trotz seiner göttlichen Attribute auch nur als Mensch unter Menschen. Für den tibetischen Hofstaat in Dharamsala gilt jedoch das Wort des Dalai Lama als unumstößlich, so wie es in der katholischen Kirche ja auch heißt "der Papst kann sich nicht irren!".

In einem seiner Bücher hat er sich kritisch über die Praxis der Orakelbefragung geäußert, denn in der tibetischen Tradition wird dieses Ritual bei jeder Kleinigkeit, ob man nun nach links oder nach rechts gehen soll, herangezogen. Darauf angesprochen meinte die Theologenschaft, das sei ein Übersetzungsfehler!

Bist Du selbst praktizierender Buddhist?

Was ich sehr mag, ist der Respekt, den die Buddhisten allem Lebenden - und auch den Toten - entgegenbringen aber ich würde mich nicht als Buddhist bezeichnen, auch nicht als Christ.

(überlegt) Oder besser: Ich bin soviel Buddhist wie ich Christ bin. Im Buddhismus gibt es die Lehre von den drei Fahrzeugen und das sollten Religionen ja eigentlich sein: Fahrzeuge, auf denen man sich Gott nähert. Schlimm wird es dann, wenn von einem verlangt wird, das Fahrzeug selbst anzubeten, wie es ja auch die Kirche im Glaubensbekenntnis fordert, denn ich finde das kann es nicht sein... ich bin sogar der Ansicht, dass ich über das Stadium hinaus bin, eine Religion zu brauchen, um an das Göttliche zu glauben.

Aha! ...

Das betrifft aber jetzt nicht alle, sondern mich. Es gibt eben viele Menschen, die brauchen das, weil es sehr schwer ist, heutzutage an Gott zu glauben ohne Religion. Manchmal wünsche ich mir auch so etwas gemeinschaftliches, wie früher, als ich noch gerne in die Kirche gegangen bin. Dort habe ich mich wohlgefühlt, mit anderen zu beten und diese Verbundenheit zu spüren. Das ist das Wort: Verbundenheit.

Ich denke im Grunde haben die beiden Religionen sehr viele Elemente gemeinsam, aber meines Wissens, und das ist sehr begrenzt, gab es nie einen Krieg, den die Buddhisten geführt haben, um ihre Konfession zu verbreiten wie das Christentum oder der Islam. Es ist kein missionarischer Glaube und das macht ihn mir so viel sympathischer.

Und wie geht es Dir damit Österreicher zu sein?

Na, im Moment kann man ja zum Glück sagen "Ich bin Europäer". Das ist ein Vorteil, der sich aber auch langsam zu einer Falle entwickelt: Wenn man jetzt drei Wochen in Afrika unterwegs ist, wird einem auch bewusster wie die "Festung Europa" ausgebaut wird.

Aber im Grunde glaube ich Du wirst, egal wo Du hingehst, den selben Prozentsatz an Idioten und wunderbaren, herzlichen und intelligenten Menschen finden.

Kalachakra 2002

Oktober 2002
Sounds of Tibet - TIPA

Hubert von Goisern und Tseten Zöchbauer präsentieren Auftritte der Tibetan Institute of Performing Arts

Was wäre die Welt
Ohne Meere, ohne Wüste,
ohne Berge, ohne Wälder,
ohne der Vielfalt der Völker,
ohne den Himmel, der uns alle überspannt?

Die Tibeter sind diesem Himmel sehr nah,
nicht nur, weil sie auf den höchsten Bergen der Welt wohnen!

HvG

THEMA - Kalachakra

ORF 14. Oktober 2002

Ungewohnte Klänge und fremdländische Tänze in einer riesigen Messehalle - Rituale beim Kalachakra 2002 - dem Welt-Buddhistenfest in Graz. Besucher aus 71 Nationen kommen hier her, es sind die unterschiedlichsten Beweggründe die
sie zu ihrer Reise motivieren. Die einen sind Sympathisanten oder Glaubensangehörige, die anderen einfach Neugierige.

Hubert von Goisern hat seine Promotion-Tour in Deutschland unterbrochen, um seine tibetischen Freunde nach Jahren in Graz wiederzutreffen - gemeinsam haben sie 1998 das Album Inexil heraus-gebracht. Von seiner Reise durch das besetzte Land des Dalai Lama hat Hubert von Goisern viele starke Eindrücke mitgenommen - Inexil ist sozusagen das künstlerische Ventil: Alte tibetische Musik, kombiniert mit neuen Klängen.

Heute Abend steht ein gemeinsamer Auftritt bevor - der Goiserer ist Reiseleiter bei einem Abenteuer durch Tibet - ein buntes Programm, das die verschiedenen Regionen und unterschiedlichen musikali-schen und künstlerischen Ausprägungen des Landes zeigen soll. Hubert moderiert und arrangiert, musizieren wird er nicht - die Arbeit mit den Tibetern ist nicht immer ganz leicht.

Dalai Lama Superstar - so titeln Magazine dieser Tage - der Buddhismus boomt. 15.000 Spirituell interessierte Menschen werden beim Kalachakra, das noch bis 23. Oktober dauert, erwartet.

Die höchste Sicherheitsstufe gilt, wenn das geistige und weltliche Oberhaupt von Tibet, seine Heiligkeit der Dalai Lama, einen Vortrag hält. Gut 8000 Menschen sind gekommen, stundenlang stellen sie sich an. Buddhistische Gelassenheit ist gefragt, wenn man mehr als 1 Stunde zu spät zur Rede kommt, aber es stehe dafür: "Ich bin nur ein einfacher Mönch und nicht mehr " - sagt der 14. Dalai Lama von sich selbst. Seine Freundlichkeit, trotz der desolaten Lage in seinem Heimatland, sei faszinierend, meint nicht nur Hubert von Goisern, der auch zum Vortrag "Die Kraft des Mitgefühls" gekommen ist.

Nicht weit weg von der Messehalle, in der Froschaugasse in Graz, liegt die Wohnung der Familie Priewalder. Die gesamte Familie spricht dem Buddhismus zu, sie ist zwar nicht konvertiert, aber Tibeter gibt es hier im 10. Stock mehr als sonst wo in privaten Räumlichkeiten. Bis zu 10 buddhistische Gäste finden auf engstem Raum Platz und das nicht nur zur Zeit des Kalachakra, wo Quartiere rar sind. Seit Jahren werden Buddhisten aufgenommen und verpflegt.

Zu Gast ist auch Tenzin, ein Thangka- Künstler. Dass der Buddhismus zur Zeit regen Zulauf hat und zur Modereligion geworden ist, dafür gäbe es eine einfache Erklärung. Rund um die Uhr ist die Familie Priewalder im Einsatz - trotz des häufigen Kontaktes mit Buddhisten will keiner von ihnen der Religion beitreten.

Der Vortrag des Dalai Lama ist längst vorbei - die tibetanischen Künstlergruppe und Hubert von Goisern hat nur noch eine Stunde bis zu ihrem Auftritt. Was ihn und die Tibeter verbindet, ist mehr als eine enge Freundschaft, meint Hubert von Goisern, der in dieser Kultur auch ein bisschen seine künstlerischen Wurzeln entdeckt hat. Den tibetischen Künstlern wiederum tut es gut, mit einem Musiker vom Format eines Hubert von Goisern zusammen zu arbeiten. Sie fühlen sich anerkannt und wertvoll.

Nicht nur Freude, auch Frieden und Tole-ranz auf der ganzen Welt, das soll das Buddhistentreffen in Graz fördern. Ein globales hohes Ziel, das oft an den einzelnen scheitert.

Ich bin gespannt, wie's weitergeht

Ursache Wirkung Nr. 30, 4/99

Hubert von Goisern und Peter Riedl im Gespräch

Hubert von Goisern

Hubert von Goisern, wie sich der Musiker und Komponist Hubert Achleitner nach seinem Heimatort nennt, wird häufig als der "Begründer des Alpenrocks" bezeichnet. Spätestens seit dem großen Erfolg, den das Lied Hiatamadl aus Aufgeigen statt niederschießen 1992 im ganzen deutschen Sprachraum fand, ist seine Kombination von traditioneller Volksmusik mit modernen Ausdrucksmitteln weithin bekannt. Als Filmkomponist schuf er die Musik für Schlafes Bruder. Inspiriert von Gesprächen mit der Gorillaforscherin Jane Goodall 1994 reiste er nach Afrika und gewann Eindrücke für sein Werk, die sich in den Titeln der CD Gombe niederschlagen. Die Produktion Inexil zeugt vom Interesse für die Kultur der Tibeter, für die sich Hubert von Goisern auch humanitär engagierte. Der Musiker aus den Bergen und U&W-Herausgeber Peter Riedl trafen einander kürzlich zu einem Gespräch über Musik, Spiritualität, Religion, Tibet und den Weg des Suchenden.

Peter Riedl: Du kommst aus den Bergen. Spielt das eine Rolle bei deiner Liebe zu Tibet?

Hubert von Goisern: Sicher. Der Ursprung des Interesses war, dass ich mich immer dafür interessiert habe, wo es noch Berge gibt. Auf der Landkarte zieht es jemanden, der in den Bergen aufgewachsen ist, zu diesen dunkelbraunen Flecken. Das erste Mal bin ich dann im Winter 82/83 in Asien gewesen und zwei Monate im Himalaya gewandert.

Haben die Bergvölker irgend etwas gemeinsam?

Ich glaube schon. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein, weil ich Dinge erkenne, die ich aus meiner Umwelt kenne. Ich möchte nicht behaupten, dass es so ist, aber ich empfinde es so. Die Härte, die einem das Leben in den Bergen abverlangt, diese Kargheit, prägt die Menschen. Dort, wo die Sachen einfach vom Baum herunterfallen und man ohne große Anstrengung lebt, sind die Menschen einfach anders, vielleicht weniger sorgsam mit ihren Ressourcen, nicht nur mit den Nahrungsressourcen, sondern überhaupt, dafür sind die Menschen in den Bergen weniger gelassen.

Du kommst richtig aus den Bergen?

Ich komme aus Goisern, aus dem Salzkammergut, aber nicht aus einem landwirtschaftlichen Milieu, sondern aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater hat sich selber ein Einfamilienhaus gebaut, in dem bin ich aufgewachsen: Zehn Meter neben dem Wald, und nach 100 Metern geht es hinauf.

Viele fragen sich, wie jemand aus einer ländlichen Gegend in Österreich dazu kommt, sich mit Buddhismus oder Tibet zu beschäftigen? Einerseits ist es modern, aber trotz allem steckt häufig mehr als Mode dahinter.

Mir reichte es irgendwann nicht mehr, was die Heimat bot. Etwa was sich musikalisch bei uns abspielt, war zu wenig. Dann kommen über das Radio wie Rock- oder Popmusik, was meinem Lebensgefühl mehr entsprach als Volksmusik. So ging es auch mit der Religion. In der katholischen Kirche aufgewachsen, habe ich mich mit meinen spirituellen Bedürfnissen dort nicht mehr zu Hause gefühlt.

Hast du dich ab einem bestimmten Punkt bewusst auf die spirituelle Suche begeben?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens tauchte mit 16 oder 17 Jahren auf. Ich hab überall hingeschaut, versucht, die Dinge einzuordnen, verstehen zu lernen, ob das die Arbeit oder die Schule war. Wozu lernen, wozu arbeiten? Nur um ein von irgend jemandem aufgestelltes Plansoll zu erfüllen? Dann haben mich die künstlerischen Berufe und die Religion interessiert. Meine Eltern gingen nur zu Hochzeiten und haben mir nicht mitgegeben, dass man in die Kirche zu gehen hat. Mich hat das einfach interessiert. Wie sind die drauf, was passiert da drinnen? Ist da irgend etwas, was man spüren kann? Oder gehen die alle nur aus reiner Tradition? Ich hab dann einfach für mich gelernt, in ein Gotteshaus zu gehen, wenn keine Messe war, um diese Atmosphäre zu spüren, diese Stille. Dann habe ich angefangen, die Gebete hinterzufragen. Irgend etwas in mir hat sich gesträubt, ein Vaterunser zu beten, zu einem maskulinen Gott zu beten. Weil ich mir einfach denk, Gott kann kein Geschlecht haben, und dann kann ich nicht beten zum Vater im Himmel.

Gibt es einen Gott? Und wenn er nich maskulin ist, kann er neutral oder feminin sein?

Das ist diese unbeantwortbare Frage, weil es ein Gefühl ist, von dem ich weiß, dass es durch das bestimmt ist, was ich gehört und gelesen habe. Vielleicht ist es einfach nur ein Konzept, das die Dinge erträglicher macht. Aber ich fühle mich aufgehoben und geborgen in diesem Konzept oder in Gott.

Gibt es heute eine spirituelle Heimat, der du dich zugehörig fühlst?

Nein, das bedaure ich zutiefst, das geht mir ab. Das mache ich der katholischen Kirche, die meine Heimat war, zum Vorwurf: dass sie mir das nicht mehr bietet.

Was kann die Kirche dafür?

Ja eh. Ich kann damit umgehen, aber ich sehe es an unserer Gesellschaft, dass die Kirche ihre Aufgabe nicht erfüllt. Ich glaube, dass die Gesellschaft einer moralischen Instanz bedarf, und die war früher die Kirche, aber die akzeptieren die meisten Menschen zu Recht nicht mehr. Die letzten Gottesdienste, die ich genossen hab, waren in den Achtzigerjahren lateinische Messen in der Augustinerkirche bei Pater Gottfried. Mit den lateinischen Gebeten habe ich überhaupt kein Problem, weil da kommt die unmittelbare Bedeutung nicht so deutlich heraus. Ich weiß, dass Pater Noster auch Vaterunser heißt. Aber durch das Lateinische wird es einfach mystifiziert.

Dir fehlt die Mystik in der Kirche?

Ja, mir fehlt das Ritual. Es gibt kein spirituelles Ritual mehr für mich. Da kann ich auch mit buddhistischen Ritualen nix anfangen. Ich hab das einfach gemocht, also da gehst du hinein in die Augustinerkirche und da läuft ein Ritual ab, mit dessen Hilfe komme ich in eine Transzendenz. Allein ist das ist viel schwerer, es gelingt schon, aber es ist viel, viel schwerer!

Was meinst du mit Transzendenz?

Einfach diese vordergründigen Gedanken und Sorgen, diese weltlichen Dinge zu transzendieren, da durchzukommen in dieses Gefühl, mit allem verbunden zu sein.

Hast du dich jemals in einer bestimmten spirituellen Methode geübt?

Vor längerer Zeit war Ken Wilber für mich sehr maßgeblich und aufbauend. Nach seinem Wege zum Selbst und anderen Büchern habe ich mir mein eigenes Programm zusammengestellt. Ich habe Kassetten mit Musik und Texten aufgenommen, damit sich die Übung nicht verselbstständigt. Sonst konnte es passieren, dass ich sitze und zehn Minuten an etwas ganz anderes denken, ohne es zu merken. Jetzt hab ich das alles hinter mir gelassen, hab kein Programm mehr. Ich setzt mich ab und zu einfach hin und versuche, meine Achtsamkeit auf das Atmen zu lenken. Und dann probiere ich, diese Gefühl von Losgelöstsein einfach so lang wie möglich zu halten und in die Handlungen und den Umgang mit anderen Leuten einfließen zu lassen.

Hast du Visionen?

Ja (sehr bestimmt). Persönliche Visionen über das, was ich erreichen möchte, wo ich hinfahren möchte, Menschen, denen ich begegnen möchte, Situationen, die ich erfahren möchte. Oft, wenn ich etwas erlebe, erinnere ich mich dran, dass es da eine Visionen gab.

Ist die Musik ein Mittel zu tieferer Konzentration oder Bewusstheit?

Musik ist für mich ein Mittel, glücklich zu werden. Musik hat eine sehr reinigende Wirkung, vor allen Dingen das Singen. Musik verschafft mir einfach einen Zugang zu Ebenen, wo ich mir sonst sehr schwer tu.

Hast du jemals spirituelle Musik gemacht?

Mein Ansatz des Musizierens ist ein stark spiritueller. Für mich ist Musik etwas Heiliges. Ich bring es nicht zusammen, einfach zu sagen, ich mach das jetzt, weil ich damit Geld verdienen oder Berühmtheit erlangen kann.

Das muss ja die Heiligkeit nicht ausschließen.

Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Musik ist mir so wichtig, dass ich nicht vertrage, wenn ich in ein Kaufhaus gehe und beiläufige Musik hör. Das tut mir weh. Weil ich mir denk, da verschenkt man einfach was. Man stumpft die Ohren ab, indem man es so x-beliebig einsetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgend etwas mache, von dem ich nicht hundertprozentig überzeugt bin.

Ist die Musik für dich heiliger als andere Sachen?

Nein, für mich ist sie etwas, was mir in die Wiege gelegt wurde. Über die Musik habe ich einen Zugang, den ich zum Beispiel übers Schifahren nicht ganz so habe, obwohl ich das auch gerne tue. Im Tiefschnee allein über die Berge wandern und dann durch den Pulverschnee zu schwingen. Oder ein Puppenhaus für meine Tochter in der Werkstatt zu basteln, das macht mir auch Spaß. Aber da komme ich nicht so leicht in dieses allumarmende Gefühl rein, das mir die Musik gibt.

Du hast jetzt Musik für mich fast ausgedrückt wie eine sexuelle Vereinigung.

Ja, aber Sexualität spielt sich in der Regel zwischen zwei Partnern ab, während bei einem Konzert 2.000, 10.000 oder mehr Menschen sind, die sich alle auf die Musik konzentrieren. Da mag schon das Auge wandern, aber die Ohren sind alle eingetuned. Das hat mich bei den Messen in der Augustinerkirche fasziniert: 2.500 Leute jeden Sonntag bei derselben Sache. Da entsteht etwas ganz Wunderliches. Ich mag Massendinge eigentlich nicht, trotzdem faszinieren sie mich. Ich bin, als der Papst in Salzburg war, extra hingegangen. Obwohl ich aus der Kirche ausgetreten bin, wollte ich das erleben. 15.000 Leute am Domplatz, doch es war eigentlich nix. Einmal ist ein Gefühl aufgetaucht, wie sie das Heilig, heilig von Schubert gesungen haben. Dann waren wirklich alle einmal beieinander. Aber die Figur des Papstes war nicht stark genug, um das so zu fokussieren, dass es da zu einem Einschwingen auf einen Punkt gekommen wäre.

In den alten Kulturen konnten die Dorfgemeinschaften das noch bei gemeinsamen Festen erleben. Heute kommen Menschen in dieses Einheitsgefühl vielleicht nur noch bei Rockkonzerten, aber unbewusst, sie wissen gar nicht, wie sie es tun, in Drogenerlebnissen, und bei der Sexualität. Alle anderen Dinge sind in der westlichen Gesellschaft weitgehend verloren gegangen.

Hast du so ein Einheitserleben in Tibet oder bei buddhistischen Ritualen erfahren?

Nein, also ich habe da keinen großen Feierlichkeiten beigewohnt. Die Chinesen erlauben die auch gar nicht mehr. Mein Engagement für Tibet ist in erster Linie ein soziales. Was die spirituelle Dimension betrifft, da muss ich ehrlich sagen, dass es dem tibetischen Buddhismus nicht geschadet hat, in die Diaspora zu gehen. Er hat die westliche Welt befruchtet, während er dem Volk, der Kultur geschadet hat. Ich habe schon seit einiger Zeit ein großes Problem mit diesen exil-tibetischen Schwingungen.

Inwiefern?

Da muss ich weiter ausholen. Seit die Leute 1958/1959 auswanderten, wurde bereits die zweite Generation geboren, die Tibet noch nie sah. Bis auf ein paar Alte müssen hier Leute eine Tradition bewahren, die sie selber nie erlebten. Ich sage bewusst "müssen". Der Druck der eigenen Gemeinschafte ist sehr groß. Sie sind in Indien geboren und aufgewachsen, haben in Indien schon Kinder, die der indischen, europäischen und amerikanischen Kultur wesentlich näher als der tibetischen sind. Ein großes Problem ist, dass sie professionelle Almosenempfänger wurden. Sie haben nie gelernt, für ihr eigenes Leben sorgen zu müssen.

Meinst du die Mönche?

Nicht nur die Mönche, die ganze Kommune! Es wird ihnen noch immer viel Geld gegeben. Sie brauchen nicht so zu leben, zu arbeiten und zu denken, wie es notwendig wäre, weil sie eh erhalten werden. Sie werden abgestumpft dadurch. Sie sind in einer Abhängigkeit, und sie empfinden es als selbstverständlich, dass ihnen geholfen wird, dass bei ihnen ein anderes Maß angelegt wird, weil sie vertrieben wurden. Und damit habe ich inzwischen Schwierigkeiten. Dazu kommt – und das sind Dinge, über die kann man fast nicht redden -, dass sie noch immer in sehr feudalen Strukturen zuhause sind, obwohl sie jetzt schon lange weg sind und ihr Land nie gesehen haben. Man darf deshalb nicht darüber redden, weil man sofort als pro-chinesisch und anti-tibetisch gilt. Das ist das Problem.

Bist du pro-chinesisch?

Überhaupt nicht.

Dann kannst du darüber reden!

Aber es ist ein Problem. Ich habe mich gefreut, als ich hörte, dass dieses kritische Buch von den Trimondis herauskam (Anm. d. Red.: Der Schatten des Dalai Lama von Victor und Victoria Trimondi). Ich wurde zu einer Fernsehdiskussion darüber eingeladen und dachte, endlich wird kritisch diskutiert. Dann sah ich das Buch und dachte, mich trifft der Schlag! Die haben ja einen Vogel! Das ist dasselbe wie beim Haider (Obmann der Österreichischen Freiheitlichen Partei, Anm. d. Red.) Das führt aber dann dahin, dass man Kritik auch unterdrückt, wo sie angebracht wäre. Nur aus Angst, von solchen Menschen vereinnahmt zu werden.

Das ist das Schwierige an differenzierten Betrachtungsweisen: Sie werden sehr häufig missverstanden und vereinnahmt.

Das sehe ich auch. Soweit ich das beurteilen kann, ist der Dalai Lama einer der wenigen, der diese Differenziertheit auch lebt. Er ist ganz integer. Er ist nicht einer, der über Kritik erhaben ist. Ich habe ihn so erlebt, dass man mit ihm eigentlich über alles reden kann. Und er geht auch kritisch mit diesen Dingen um. Aber viele in der nächsten Riege drunter machen das nicht mehr mit. Ich habe ihn drei Mal getroffen, habe eine Privataudienz gehabt und war in Bad Ischl den ganzen Tag mit ihm unterwegs. Aber ich könnte nicht sagen, dass ich ihn wirklich kenne. Der Mann hat eine unglaubliche Ausstrahlung und Energie. Das ist fast nicht zum Aushalten. Fahrt eini wie eine Droge. Da ist etwas, was er durch seine jahrelangen Übungen realisiert hat. Da ist etwas passiert. Der ist nicht so wie alle anderen.

Du hast vorhin von deiner spirituellen Suche erzählt. Du hast dich für die Kirche interessiert, du hast dich mit dem Buddhismus auseinandergesetzt, fühlst du dich aber heute trotzdem nirgends zuhause. Woher kommt das?

Ich fürchte oder hoffe vielleicht auch, dass die Zeit der Religionen für mich vorbei ist. Es wird keine neue Religionen geben, die Leute wie mich auffängt und etwas neues Gemeinsames enstehen lässt. Auch der tibetische Buddhismus ist eine sehr folkloristische Angelegenheit, genauso wie unsere katholischen Prozessionen. Ich finde das nett und gehe mit meinen Kindern zur Palmweihe oder Fronleichnamsprozession am See, weil es einfach schön ist, wie ein inspirierter Umzug. So hat der tibetische Buddhismus seine Berechtigung, als Folklore, als einfach eine Kultur.

Begleiten dich Menschen, gibt es spirituelle Freunde?

Ja, im weitesten Sinne, Menschen die eine ähnliche Spiritualität wie meine leben, ohne Zugehörigkeit. Es ist schwierig. Zum Beispiel in der Musik, da kannst du nicht einfach sagen, machen wir Musik, sondern du nimmst eine Struktur, innerhalb der man die Dinge aufbaut. Da kann ich jede nehmen, aber selbst im Freejazz gibt's Sachen, an die man sich halt. Das reine Zufallsprinzip ist mir zu wenig, zu zerfahren und zu abgehoben. Dazu bin ich noch zu sehr Mensch, hab einen Körper und eben damit meine Grenzen.

Strebst du so etwas wie Erleuchtung an?

Ich habe das jahrelang angestrebt, inzwischen finde ich es total vermessen, dass ich mir einmal eingebildet habe, ich könnte das wirklich erreichen. Nicht dass ich verzweifelt wäre. Ich hab immer gedacht, es gibt diesen Moment, und ab da bist du erleuchtet. Inzwischen glaube ich, dass ich schon ein paar Momente und Augenblicke hatte, wo ich erleuchtet war. Die sind aber nicht zu halten. Und in diesem Zustand lässt es sich nicht Leben verstehen, hat damit wenig, vielleicht gar nichts zu tun. Um zu leben, bedarf es eigentlich der Nicht-Erleuchtung. So kommt es mir vor. Im erleuchteten Zustand brauche ich keinen guten Rotwein trinke, da brauch ich auch keine Musik mehr.

Also du willst gar nicht erleuchtet sein, weil der Rotwein und Musik für dich so wichtig sind?

Und die Sexualität!

Könnte es so sein, dass diese Erleuchtungserlebnisse letztlich gar nicht die Erleuchtung sind, sondern die nächste Superillusion, die wieder zur nächsten Superenttäuschung führt? Das ist die Falle: Jetzt bin ich erleuchtet.

Ich habe ja ziemlich spat die Musik zu meinem Beruf gemacht. (Im Hintergrund läuten die Goiserer Kirchenglocken). Mit 30 Jahren habe ich angefangen, Musiker zu sein, mit 40 habe ich den großen Erfolg gehabt. Ich habe zuvor an die sieben Jahre viel meditiert, jeden Tag allein, mich viel mit spirituellen Dingen beschäftigt. Irgendwann hab ich mir gedacht, "Hubert, hör auf, denk nicht über diese Dinge nach." Weil für mich war es irgendwie eine Form von Nachdenken, auch wenn man versucht, die Gedanken zu transzendieren. "Setz dich nimmer hin, tu, beweg dich, weil das Sitzen ist es nicht." Und indem Moment, wo ich aufgehört hab zu meditieren, ist es auf einmal "wusch" gegangen. Als ich viele und moralische Grundsätze gelassen habe – alles weg -, dann hatte ich plötzlich Erfolg, es ist einfach passiert. Und das ist für mich schon eines der zentralen Probleme, dass dieser Erfolg eng damit verbunden war, dass ich keine moralischen Grundsätze mehr gehalten habe. Auch nicht mehr meditiert habe!

Für mich ist das wirklich folgerichtig.

Warum?

Vorher war alles noch in alten Bedingtheiten. Dann ist eine ganz ein wesentliches Sache weggefallen, dieser Zwang: "Auch ich muss diesen Weg gehen, meditieren lernen und erleuchtert sein." Damit erreicht man eine nächste Plattform. Das Problem ist nur: Durch diese Lösung des Wegwerfens von all dem bin ich wieder auf einer Ruheplattform. Die nächste Falle ist zu glauben, dort sei es aus. Doch es geht noch weiter. Irgendwann muss man sich weiter auf den Weg machen. Es geht dann nicht mehr so über Meditieren. Dieses Ziel ist dann erreicht. Man kann's ganz gut im Alltag selbst prüfen: Leide ich, bin ich ärgerlich, sind da negative Emotionen? Lebe ich wirklich 24 Stunden, ohne dass ich mir was vormache, in einer Bewusstheit – gelassen, friedfertig, mitfühlend? Also wenn das nicht der Fall ist, dann geht es schon noch weiter.

Ich bezweifle nicht, dass es weitergeht. Also ich hab nicht die Illusion, dass ich am Ende angelangt bin. Aber ich bin gespannt, wie's weitergeht.

Bin ich auch.