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ALPENLIEBE & STEILKLÄNGE

Hubert von Goisern gestaltet Musikprogramm für Großglockner

27. Mai 2014

AlpenliebeDas Projekt auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe trägt den Titel Alpenliebe. Er trägt auch die Handschrift Hubert von Goiserns. Er kuratiert für diese Ausstellung ein mehrstündiges Hörerlebnis mit Musik- und Klangbeispielen aus dem gesamten Alpenraum, von Frankreich bis zum Wienerwald.

Zusammen mit einem breiten Spektrum zeitgenössischer Kunst von rund 20 Künstlerinnen und Künstlern wird dieses facettenreiche Hörerlebnis, Steilklänge, anlässlich des 150. Geburtstags von Richard Strauss am 11. Juni 2014 in kleinem Rahmen eröffnet. Die Dauerausstellung im Kaiser-Franz-Josefs-Höhe – Besucherzentrum an der Großglockner Hochalpenstraße wird ab 12. Juni 2014 der Öffentlichkeit zugänglich.

Alpenliebe - Eintritt kostenlos | Täglich, 10.00 bis 17.00 Uhr

Steilklänge

2. Oktober 2014

Eine Auswahl der Ausstellungsmusik - ausgewählt von Hubert von Goisern

SteilklängeTraditionen, insbesondere musikalische, sind uns Inspiration, Reibefläche, Übereinstimmungsmerkmal. Oder sie bewirken das Gegenteil: Abgrenzung und Ausgrenzung.

Als Hubert von Goisern die Anfrage erhielt, für eine Ausstellung auf der Franz-Josefs-Höhe der Grossglockner Hochalpenstrasse eine Musikauswahl aus dem gesamten Alpenraum zusammenzustellen, war das ein willkommener Anlass, sich wieder einmal intensiv mit dem musikalischen Erbe der alpinen Kultur auseinanderzusetzen. Mit ihren Wurzeln, die durch die Generationen weit in die Vergangenheit reichen, aber auch mit ihren Ästen und Zweigen, die unsere Gegenwart bereichern und deren Früchte den Weg um die ganze Welt gemacht haben.

Hubert von Goisern ist kein Volksliedforscher, auch kein Musikethnologe. Insofern liegt dieser Zusammenstellung auch keine Methodik zu Grunde. Aber so, wie sich die Berge erst denen erschließen, die sie zu Fuß durchstreifen, muss man sich auch für die unaufdringliche Musik ihrer Bewohner Zeit nehmen und selber leise werden; und vielleicht von jemand ge- oder verführt werden. Dazu soll Steilklänge den Grundstein legen.

Steilklänge | VÖ: 31.10.14 | Tracklist | Amazon

Gelebte Tradition

Herzschlager 01/15

Ein Ausflug in die Alpen ganz ohne Wanderschuhe, Aufstieg und Anstrengung ist Steilklänge. Dieses vereint bizarre, rätselhafte Volksmusik aus dem gesamten Alpenraum: Gesänge aus dem Piemont, Musik aus dem Résiatal, das Schweizer "Zäuerli" und mehr, zusammengetragen von Hubert von Goisern, der sich auf eine musikalische Reise gemacht hat, um den Kern, die Essenz von Volksmusik ausfindig zu machen. Begonnen hat alles mit der Anfrage, ob von Goisern die Musikauswahl zur Dauerausstellung Alpenliebe auf dem Großglockner zusammenstellen wolle. Er, der dachte, das würde für ihn ein gemütlicher Spaziergang werden, sagte natürlich ja. Und musste dann doch merken, "dass es plötzlich mehr blinde, weiße Flecken auf der Landkarte gab als solche, wo ich wusste, was gespielt wird", so von Goisern. Aber umso mehr Überraschungen gab es dann, als von Goisern in unbekannte Gebiete kam, dort spannende Leute traf und "sehr alte, sehr berührende, wirkliche Volksmusik" entdeckte: unterschiedlichste Jodler, sakrale Gesänge, Geigenstücke, Gstanzl, Zithermusik und vieles mehr Unverwechselbares und Einzigartiges ist von Goisern begegnet. Mit Steilklänge möchte er diese Impressionen für jeden hörbar machen. Oder zumindest einen kleinen Teil davon: Denn die CD ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was von Goisern erlebt hat, "so wie man mit dem Flugzeug drüberfliegt über eine Landschaft und ab und zu reißt die Wolkendecke auf und man sieht durch".

Zum Runterkommen, zum Abheben

Neues Deutschland 3. Januar 2015 | Text: Marion Pietrzok

Da zirpsen die Finger über Gitarrensaiten oder zupfen in der Zither, da rummst der Schellenbaum im Verein mit zwitschernder Flöte und trällernder Ziehharmonika als gelte es, das schönste Jahrmarktsfest aller Zeiten zu feiern. Da jodelt sich eine Stimme ganz allein durch die Weite in liebevollem, bittendem Ansingen der Rindsviecher, die's nach Hause zu bringen gilt (Küahsuacher wissen, dass ihr Lockruf funktioniert).

Da singt ein Mann in einer Runde, in der man wissend und zustimmend lacht, nach der Melodie des Horst-Wessel-Liedes Die Fahne hoch einen ganz anderen Text, u.a.: "Die braune Pest hat Völker unterdrücket,/ die braune Pest hat Völker umgebracht./ Drauf ha'm sie sich mit Siegesfahnen stolz geschmücket,/ bis sie gerieten in Alliiertenhaft."

Da wird das spitzige Mückengesumm im Flug und dessen Dumpfton an seiner finalen Endstation mit witziger Lautmalerei aus dem Schallkörper einer Maultrommel hervorgebracht. Da lässt ein Jodlerduo im Lied von einem verflixten Schütz'n auf der Zitteralm die Freude lauthals darüber heraus, dass die Wilderei nicht entdeckt wurde. Da klingt ein Sancta Maria als Wechselgesang in einer Kirchenhalle. Und was ein "Kampl dixie" ist, und wie man den mit unbegleitetem "Didittdittdie-didittdittdie"-Gesang und Fingerschnippen hinkriegt, man höre es selbst.

Denn all das ist, ja, zu erleben auf einer neuen CD. Sie ist ein dankbar anzunehmendes "Nebenprodukt": Für die im Juni 2014 eröffnete Dauerausstellung Alpenliebe auf dem Großglockner hat Hubert von Goisern den akustischen Teil beigesteuert, also Musik und Klangbeispiele aus dem alpinen Raum. Nicht nur aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, sondern auch aus Slowenien, Frankreich, Italien. Hubert Achleitner, wie das musikalische Multitalent, das aus dem oberösterreichischen Bad Goisern stammt, mit bürgerlichem Namen heißt, ist kein Musikethnologe, er hat nach Gusto ausgewählt. Und der ist bei ihm so ausgebildet, dass der sonst an sich nicht unberechtigte Verdacht, "reaktionäres Volksliedgut" solle belebt bzw. am Leben gehalten werden, ins Leere läuft. Es tümelt bei ihm nicht, sondern das Erbe einer tief im Menschlichen verwurzelten Kultur wird aufgehoben.

99 Titel sind es geworden, und mit dabei sind, selbst für von Goisern als Kenner alpenländischer Volksmusik, jede Menge Entdeckungen. Vieles, wovon er, wie er sagt, keine Ahnung gehabt hatte, dass es so etwas in Mitteleuropa überhaupt noch gibt. "Sehr archaische, sehr alte und sehr berührende, wirkliche, richtige Volksmusik." Dass zum Beispiel in Norditalien ganze Dörfer singen, "also, da krieg ich Gänsehaut, wenn ich jetzt nur davon rede und diese Szenen vor mir habe", gesteht von Goisern, und wenn man die Musikbeispiele hört, geht es einem wie ihm. "Dann wird mir ganz leicht und wunderlich."

Im Moment, leider, hat die Großglockner Hochalpenstraße Wintersperre, bis Anfang Mai. Doch zum Glück: Von den dreieinhalb Stunden, die von Goisern an Liedern und Instrumentals für die Ausstellung zusammengestellt hat, sind auf der CD Steilklänge noch knapp 70 Minuten zu hören, 28 Titel, vom Glockenläuten im österreichischen Pitztal bis zu seinem eigenen Juchitzer (Wia die Zeit vergeht).

Steile Klänge

Nitro 4-2014 | Text: Michael Fuchs-Gamböck

Es bedurfte vieler musikalischer Umwege, ehe Hubert von Goisern wieder dorthin zurückkehrte, wo er hingehört – nach Hause. Und zu Hause ist der mal krachledern, mal introvertiert daher kommende Österreicher im Kurort Bad Goisern (!), idyllisch gelegen im Salzkammergut und zu Füßen des Dachsteingletschers.

Logisch, dass an einem solchen Ort die Volksmusik allgegenwärtig ist. Doch da aus Bad Goisern immer wieder Querdenker wie Konrad Deubler, einst Bürgermeister und Philosoph, oder der Schriftsteller Franz Kain hervorgegangen sind, war es bei einem Kerl, der sich in deren Tradition sieht, klar, dass er keine reaktionäre Volksmusik spielen, sondern sich einen neuen, innovativen Zugang dazu verschaffen würde. Hubert Achleitner, wie von Goisern im zivilen Leben heißt, gründete nach etlichen Reisen in exotische Länder Ende der 1980er-Jahre die Formation Alpinkatzen, die sich innerhalb von sechs Jahren zu einer legendären Institution im weiten Reich der Volks-Ethno-Schlager-Pop-Musik etablieren konnte. Jodeln in ganz neuer Form spielte hierbei eine Rolle, auch die Verwendung von ungewöhnlichen Instrumenten wie Seitlpfeife oder Maultrommel und Texte im sperrigen österreichischen Dialekt.

Hubert von Goisern & Die Alpinkatzen wurden zu einer Art lebender Legende – doch als ihr Erfolg am Größten war, löste sich die Gruppe 1994 auf und ihr Gründer ging erneut auf Reisen. Von Goisern verdingte sich als Schauspieler, Soundtrack-Komponist oder Interpret von zwei eigenwilligen Produktionen, die in Afrika und Tibet entstanden. Erst 2000 kehrte der Musikant vom Salzkammergut mit seinem vielumjubelten Meisterwerk Fön zurück zu seinen volksmusikalischen Wurzeln. Dass Hubert von Goisern auf seine treuen Fans setzen darf, hat auch mit seiner Sturköpfigkeit zu tun. So beharrte er stets darauf, Volksmusik zu machen, obwohl dieser Begriff gerade bei Jüngeren und Intellektuellen einen miserablen Ruf hat. Dabei ist die Volksmusik des von Goisern weit entfernt von der Volkstümelei und dem Kitsch der Samstagabendsendungen von Silbereisen und sonstiger Stadl. Die letzten beiden Jahre ist von Goisern noch tiefer in den Kosmos der Volksmusik moderner Prägung eingetaucht. Zum einen hat er die Musikkonzeption für die Dauerausstellung Alpenliebe auf dem Großglockner gestaltet. Auszüge dieses Programms sind unter dem Titel Steilklänge auf den Markt gekommen – eine Kollektion atmosphärisch klingender Musik-Schnipsel, die dem weltbekannten Bergmassiv gewidmet sind. Zum anderen hat der Oberösterreicher mit dem 83-jährigen Wiener Kult-Arrangeur und Dirigenten Robert Opratko unter dem Namen Filmmusik den Soundtrack zu Regisseur Joseph Vilsmaiers neuem Dokumentarfilm Österreich - oben und unten eingespielt. Darauf zu hören sind Von-Goisern-Klassiker, eingespielt mit großem Orchester."Und im nächsten Jahr", sagt Hubert von Goisern, "geht es munter weiter mit spannenden Projekten. Da gibt es ein neues Studioalbum und einen Film über meine Arbeit. Ansonsten bin ich schon heute heiß auf die nächste Tournee. Ich kann nicht anders als immer weiterzumachen."

Hubert von Goisern kann nicht stillsitzen: Steilklänge

hr2 30. Oktober 2014 | Text: Gregor Praml | Foto: © Jürgen Skarwan
Hubert von Goisern

Zwei Jahre Bühnenpause sind für einen Musiker eigentlich eine lange Zeit. Eine Zeit um sich auszuruhen von den Strapazen des ständigen Unterwegs-Seins. Und wenn die Tourpläne immer länger und länger werden, dann macht sich das Management irgendwann auch einmal Sorgen, ob der Künstler die Lust behält, die es braucht, um Abend für Abend sein Publikum zu bespielen. Der Österreicher Hubert von Goisern lehrt seine engsten Berater eines besseren: er geht voller Energie und Elan auf die nächste Tournee bis weit ins nächste Jahr hinein – und die hat längst begonnen! Aber, was hat er in den zwei Jahren Pause eigentlich gemacht? Gregor Praml klärt uns darüber auf.

Also eigentlich hat er sich ja eine Pause erbeten, von den Strapazen der letzten Tournee. Aber so richtig still sitzengeblieben ist er doch nicht. Hubert von Goisern ist ein Alpenmusiker aus dem Salzkammergut, der in seiner Stimme und seiner Art die ganze Gelassenheit der Berge und seiner Bewohner ausstrahlt. Im Innern brodelt es aber ganz offensichtlich in ihm. Er ist ein Getriebener, ein Forscher, der ständig nach etwas sucht: den Austausch mit anderen, die nächste Inspiration.

Die zwei Jahre, die er nicht auf Tournee war, hat er an dem Film Brenna tuats schon lang gedreht und hat Musik für ein neues Album mit seiner Band geschrieben. Beides veröffentlicht er im kommenden Jahr. Damit aber nicht genug: er hat zwei weitere Musikprojekte erarbeitet, um die soll es nun gehen.

Da ist auf der einen Seite die Musik zum Dokumentarfilm Österreich - oben und unten von Joseph Vilsmaier und anderseits die CD Steilklänge, mit der wir beginnen wollen.

Die Großglockner Hochalpenstraße ist eines der beliebtesten Ausflugsziele in Österreich. Wer die 48 km bis zum Ende fährt, der erreicht am Fuße des Berges die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe, wo es seit Juni die Ausstellung Alpenliebe gibt. Hubert von Goisern wurde von Kuratorin Julia Stoff gebeten, dafür eine Musikauswahl des gesamten Alpenraums zusammenstellen. Eine Ehrensache für einen solchen Kenner wie von Goisern.

"Ich war auch selber überrascht, wie viel Zeit ich dafür dann investiert habe. Ich dachte erst, ich mach das mit links, weil ich kenn mich eh auch a bisserl aus, und dann, ja … Frankreich, Italien ist noch ein blinder Fleck, aber Deutschland, Österreich, Schweiz kenn ich mich aus. Und natürlich, gleich am Anfang, da bin ich draufgekommen: oh Gott, Slovenien, Slovenien, das gibt's ja auch noch – die gehören ja auch dazu zum alpinen Raum", sagt von Goisern.

Die Arbeit war intensiv. So intensiv, dass Hubert von Goisern sogar die Veröffentlichung seines neuen Bandalbums aufs nächste Jahr verschieben musste. Aber für den Zuhörer ist es eine wunderschöne Reise einmal quer durch den gesamten Alpenraum. Für die Ausstellung hat von Goisern dreieinhalb Stunden Musik zusammengestellt. Für das Album sind es knapp 70 Minuten.

Hubert von Goisern: "Ich bin dann viel herumgefahren, bin auch nach Norditalien gefahren und in den äußersten Westen Österreichs, hab mich mit sehr vielen spannenden Leuten getroffen, hab vieles kennengelernt, wovon ich nicht mal eine Ahnung hatte, dass es sowas in Mitteleuropa überhaupt noch gibt. Sehr archaische, sehr alte und sehr berührende, wirkliche, richtige Volksmusik."

Auch das hier gibt es zu hören auf Steilklänge. Eine Musik die wie Techno klingt. Aber gemacht ist sie mit einer Maultrommel, gespielt von einem gewissen Anton Bruhin. Auch ihn hat Hubert von Goisern auf seiner Suche entdeckt. Für von Goisern geht es darum, den Zuhörern den musikalischen Alpenraum wirklich als Ganzes zu vermitteln – von gestern bis heute. So wie er sich dabei selbst überrascht hat, so wird er auch jeden überraschen können, der sich auf das Projekt Steilklänge einlässt und quasi in einer Stunde über die Alpen fliegt.

Ganz hoch oben

Süddeutsche Zeitung 30. Oktober 2014 | Text: Rita Argauer

Zu Fuß kommt man in den Alpen nur sehr langsam voran. Die Bequemeren unter den Bergfexen können sich hingegen per Seilbahn schnell in höchste Höhen tragen lassen, womit sich die Wahrnehmung der Details allerdings verringert. Das Album Steilklänge (Blanko Musik, Veröffentlichung Freitag, 31. Oktober) kombiniert die Möglichkeiten der alpinen Erfahrung im heimischen Wohnzimmer. Hubert von Goisern hat darauf den Alpenraum musikalisch kompiliert und ermöglicht einen imaginären Spaziergang über das 1200 Kilometer lange Gebiet, bei dem dessen Kulturgeschichte wie auch die regionalen Unterschiede erfahrbar werden.

Im vergangenen Winter erhielt der eigensinnige Volksmusiker die Anfrage, eine Art Soundtrack für eine Ausstellung auf der Franz-Josefs-Höhe der Großglockner Hochalpenstraße zusammenzustellen - es ist eine Sammlung geworden, die, fernab von klangästhetischen Standards, einen bizarren, rätselhaften und zum Teil sehr fremden Raum zeigt. Natürlich muss man sich darauf einlassen: Der erste Track heißt Glocken der Singesler; und zu hören ist darauf auch nichts außer Glocken. Es folgen sakral klingende Chöre aus Österreich, italienische Tänze aus dem Aosta-Tal, die obligaten Jodler, ein Maultrommel-Solo, das fast wie ein moderner Techno-Track klingt oder von der Band Katice neu arrangierte slowenische Volksmusik. Da eröffnet sich ein an Nebengeräuschen reicher, aber atmosphärisch dichter Trip durch sechs Alpenländer. Vieles ist auf das Vokale zentriert und spärlich instrumentiert, klar, die alten Volkslieder sind hauptsächlich mündlich überliefert.

Hubert von Goisern selbst zeigt sich zunächst nur indirekt mit dem aus seiner Heimat Goisern stammendem Kuahmelcher Jodler, interpretiert vom Goiserer Viergesang; doch lässt er es sich nicht nehmen, zum Abschluss dieses Albums, das mehr als ethnologisches Kopfkino denn als leichter Musikgenuss funktioniert, Juchitzer aus seinem Live-Album Wia die Zeit vergeht zu setzen. Wie passend für eine CD, welche die konstant voranschreitende Zeit ebenso wie sämtliche schwer zu überwindenden örtlichen Beschränkungen herrlich aufzulösen vermag.

Ein Plädoyer für die Entschleunigung

OÖN 25. Juni 2014 | Text & Foto: Bernhard Lichtenberger

Hubert von Goisern spricht im Interview über seine Zuneigung zu den Bergen, über unser Leben im Hamsterrad und über seine musikalische Spurensuche im Alpenraum.

HvGSelbstbestimmte Auszeiten liegen in seiner Natur. Im Dezember 2012 hatte sich Hubert von Goisern mit
dem letzten Konzert der fulminanten Brenna tuat's-Tour erneut von der Bühne zurückgezogen. Untätig war er seither nicht. Für die eben erst eröffnete Ausstellung Alpenliebe im Besucherzentrum der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe hat er unter dem Titel Steilklänge 99 Lieder aus den Ländern des Alpenraumes zusammengetragen. Auf 2369 Meter Höhe, den Gipfel des Großglockners vor Augen, sprachen die OÖNachrichten mit dem 61-jährigen Musiker.

Was verstehen Sie unter Alpenliebe?

Liebe ist ein intimes und fast heiliges Wort. Ich gehe in die Berge ja lieber alleine, aber natürlich sind wir inzwischen schon so viele, dass Alleinsein selbst in den Bergen schon die größte Kunst geworden ist. Da musst du schon in sehr steilem Gelände unterwegs sein.

Es muss nicht Liebe genannt werden – aber entsteht in den Bergen nicht doch eine zärtliche Beziehung?

Auf jeden Fall eine sehr respektvolle und eine der großen Zuneigung. Ich habe keine Ahnung, ob ich den Bergen etwas geben kann. Vielleicht trage ich ein kleines Stück dazu bei, dass man achtsam mit der Natur umgeht und mit dem Geschenk, dass es solche Freiräume, die noch nicht von Zivilisation und Maschinen erobert sind, noch immer gibt. Aber ich bekomme sehr viel. Zum Beispiel Selbstbewusstsein und Gelassenheit im Sinne von loslassen können. Du gehst auf die Berge, die Probleme sind alle weit unten, du lässt sie im Tal, du schwitzt sie durch das Gehen hinaus. Dass Tiere in der scheinbar lebensfeindlichen Natur leben, ringt mir Bescheidenheit und Demut ab.

Worte wie Gelassenheit, Achtsamkeit und Entschleunigung sind Vokabel, die plötzlich bei vielen Leuten präsent sind. Welches Signal ist das?

Die Beschleunigung der Welt ist nicht wegzudiskutieren, die findet einfach statt. Ich glaube, es ist dieses Hamsterrad, in dem wir drinnen sind. Es ist ganz schwierig, sich da auszuklinken, weil der gesellschaftliche Druck durch die Werbung, die Politik und die Wirtschaft da ist, die sagt, es muss alles angekurbelt werden, es muss immer Konjunktur geben, wir müssen strampeln, damit es weitergeht. Das hat dazu geführt, dass wir in einem irren Tempo durch unser Leben rasen. Es sind keine Modeworte, sondern sie sind sehr angebracht in unserer Zeit.

Hat damit auch dieses neue Heimatgefühl zu tun? Die Leute fangen wieder zum Handarbeiten an, greifen auf alte Sachen zurück, kaufen regional...

Es dringt schön langsam durch, dass wir ein Gegengewicht zum Rasen durchs Leben brauchen. Damit wir das überhaupt aushalten, brauchen wir unsere Ruhepole, um wieder zur Besinnung zu kommen und nicht wie in Trance unterwegs sein zu müssen. Höchstleistungen sind halt nur für ein paar ganz wenige möglich, und der Rest muss sich – habe ich das Gefühl – fast schämen, dass er nicht auch mit dem Radl auf den Glockner hinauffahren kann. Es ist alles so maßlos geworden, weil die Latte überall schon so wahnsinnig hoch hängt. Wo das endet, weiß keiner. Aber in dem Moment, wo's endet, ist es aus. Deshalb ist Entschleunigung grundsätzlich nicht schlecht, weil es das Ende hinausschiebt.

Ist es ein paradoxer Zustand, dass die Städter aufs Land drängen und in den Tälern vor allem die Jungen schauen, dass sie in die Stadt kommen?

Das ist eine natürliche Bewegung, die es immer schon gegeben hat. Es ist das Land, das die Stadt erhält und nährt. Es ist das Land, das so etwas wie Gemeinschaft entstehen lässt – obwohl in der Stadt die Leute enger leben, sind sie weniger miteinander verbunden. Da muss schon ein Unglück passieren, damit es zu einem Wir-Gefühl kommt. Dass es die Sehnsucht der Stadtinger gibt, dass sie immer wieder das Land suchen, um dort auch ihre Wurzeln zu spüren, ist genauso natürlich, wie dass die jungen Leute in die Stadt müssen, um neues Leben, neue Impulse zu kriegen.

Haben Sie bei Ihrer Spurensuche für das Projekt Steilklänge bemerkt, dass Abgeschiedenheit eine Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen mehr musizieren und singen?

Überhaupt nicht. Da fällt mir jetzt spontan Grönland ein, wo ich schon ein paar Mal war. Es gibt kaum einen Platz, wo die Leute weniger singen und mit Musik fast nichts am Hut haben, und wo es wirklich sehr einsam ist. In Grönland singen sie, um die Angst zu vertreiben, denn in der Stille kommen die Geister. Das MiteinanderMusizieren und -Singen ist ein Miteinander-in-Schwingung-Kommen, etwas, das ein wunderbares Wir-Gefühl erzeugt.

Welche Überraschungen gab es für Sie bei Ihrer alpinen Klangsuche?

Dass es im französischen Alpenraum nicht viel gibt. Dort ist die Kultur zubetoniert worden. Spannend waren die Gesänge aus den italienischen Alpen, weil es dort eine Art des Hinaussingens gibt, das man bei uns so nicht findet. Die machen den Mund auf und geben die Stimme einfach frei. Unsere Chöre pflegen den Schöngesang. Da werden die Lippen geschürzt und die Töne mit der Zungenspitze gekost, das hat was Unnatürliches, Gekünsteltes. Überraschend war für mich auch die im Vergleich zu anderen alpinen Regionen unglaubliche Vielfalt im salzburgischen, oberösterreichischen und steirischen Grenzgebiet – also rund um den Dachstein. Ich habe diese Vielfalt und Erdigkeit immer als selbstverständlich angenommen. Eine Entdeckung für mich waren auch die Gesänge um den Schneeberg.

Was gibt es in Ihrer Heimat Einzigartiges, das Sie im ganzen Alpenraum nicht gefunden haben?

Da will ich jetzt nichts Singuläres herauspicken, weil ich ja überall diese Einzigartigkeiten gesucht und gefunden habe. Aber die Sangeskultur aus dem Salzkammergut, die Getragenheit der Jodler und die Ungezähmtheit und Wildheit der geradetaktigen Landler oder Schleuniger mit dem "Pasch". Aber man braucht so etwas nicht hochzustilisieren. Je uriger und archaischer, desto zugenähter sind oft auch die Leute. Deshalb tu ich mir auch schwer mit ihnen – und sie sich mit mir. Für mich ist der Begriff "authentisch" mittlerweile zu einem Unwort geworden. Wer sich auf bzw. hinter das Authentische zurückzieht, inszeniert sich bereits und hebt damit seine Echtheit auf.

Ist das Zugenähte auch, dass Ihnen daheim gesagt wurde, an einem CD-Projekt Steilklänge machen wir nicht mit?

Ja, so ist es – aber es gab nur ein einziges Beispiel.

Was schließen Sie daraus?

Dass sie entweder Angst haben, ihre Echtheit ginge angesichts der Vielfalt an alpinen Echtheiten verloren, oder dass sie Chauvinisten sind.

AUSSTELLUNG & TOUR
Die Schau: Für die Ausstellung "Alpenliebe" auf der Franz-Josefs-Höhe an der Großglockner Hochalpenstraße hat sich Hubert von Goisern auf Spurensuche im Alpenraum begeben und 99 einzigartige Musikstücke gesammelt, vom "Schleuniger" der Ischler Seitlpfeifer bis zum Lied "Die Nazibruat" aus dem Passeier Tal.
Die Tour: Im Bad Ischler Lehártheater startet der Goiserer am 20. Oktober seine Tour, die ihn am 16. November auch in den Linzer Posthof führt, der sein 30-Jahr-Jubiläum feiert.

Aus der Dritten Alpenwelt

15. Juni 2014 | Text: Martin Heller | Foto: © Andreas Kolarik
Großglockner Hochalpenstraße

Ein Gespräch mit Hubert von Goisern anlässlich der Ausstellung ALPENLIEBE,
ab 11. Juni 2014 auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe, Großglockner Hochalpenstraße.

Martin Heller: Du hast für Alpenliebe eine Musikauswahl aus dem gesamten Alpenraum zusammengestellt. Was hat dich dabei bewegt?

Hubert von Goisern: Vor zwanzig Jahren habe ich sehr viel österreichische Volksmusik gehört. Sie interessierte mich, aber irgendwann glaubte ich mehr oder weniger alles zu kennen. Die Einladung von Julia Stoff bot nun Gelegenheit zu einer neuen Recherche. Was ich dabei entdeckt habe, ist erstaunlich.

Was gab es denn da für Überraschungen?

Zum Beispiel die Schneeberg Jodler. Es gibt in den östlichsten Ausläufern der Alpen eine Jodelkultur, das hätte ich so weit vom inneralpinen Raum entfernt nicht vermutet. Die klingen wirklich so, wie man es aus den tiefsten Tälern im Salzkammergut oder im Pongau kennt, oder gar besser.

Noch eine Entdeckung?

Die Gesänge aus Premana, oberhalb des Comer Sees. Dort haben ganze Dörfer eine Gesangskultur, von der ich dachte, das gibt es vielleicht noch in der Dritten Welt, aber nicht bei uns. Die singen ganze Nächte durch. Wobei die Alpen ja selbst noch so ein Stück Dritte Welt sind. Vieles ist da nach wie vor ganz abgeschieden und exklusiv, auch ausschließend. Selbst wenn du nur zwanzig Kilometer weiter entfernt lebst – du gehörst nicht dazu.

Und zum dritten?

Die Feststellung, dass im französischen Alpenraum so gut wie gar nichts zu finden war an traditioneller Musik.

Die singen und musizieren nicht?

Die wenigen Dörfer, die es gab, gelten als kulturell ausgestorben, sind nur mehr Tourismus-Burgen ohne spezifische Kultur. Mit Mühe und Not habe ich zwei, allerdings wunderschöne, Geigenstücke aus dem Gebiet gefunden. Aber erstaunlich: Ich dachte, da lerne ich etwas noch einmal völlig anderes kennen, dem war aber nicht so.

Lässt sich dein Interesse beschreiben? Worauf springst du an?

Das muss schon etwas Besonderes sein. Ich suche auch nicht den gemeinsamen Nenner. Ich suche die Prototypen dieser Musik, ihren Kern, von dem sich die Dinge später weg entwickelt haben – das Unverwechselbare, Einzigartige.

Hat dieser Kern mit dem Alter der Tradition zu tun? Oder mehr mit künstlerischen Persönlichkeiten, die sie besonders vital interpretieren?

Beides ist möglich und wichtig. Es gibt einzigartige Musiker und Ensembles. Darunter Persönlichkeiten wie Ernst Krenek, der als Wiener die Alpen bereist und für seine Lieder daraus eine unglaubliche Inspiration geschöpft hat. Oder Olivier Messiaen, der sich in vielen seiner Werke mit den "Abgründen" aber auch den "lichten Höhen" auseinandergesetzt hat, die er während seiner Kindheit in Grenoble vor Augen hatte. Zugleich gibt es Phänomene wie die erwähnten italienischen Dörfer oder die Kuhreihen aus der Schweiz, die Ranz Des Vaches, mit ihrer österreichischen Entsprechung, den Küahsuchern, die sich seit Hunderten von Jahren erhalten haben.

Darin bestand auch eine große Anziehung für die klassische Musik, die du vereinzelt ebenfalls einbezogen hast.

Klar. Wobei mir die Auseinandersetzung mit volksmusikalischen Formen und Motiven näher liegt als Richard Strauss, dessen Alpensinfonie ein Bergerlebnis letztlich bloß illustriert. Im dritten Teil von Rossinis Ouvertüre zu Guillaume Tell findet man zum Beispiel einen Kuhreihen, oder im ersten Satz von Alban Bergs Violinkonzert ein Kärntner Volkslied.

Kannst du jemandem trotz all der Differenzen in deiner Auswahl erklären, was der gemeinsame Nenner von Musik aus dem Alpenraum ist?

Einem Musiker oder einem Nicht-Musiker?

Macht das einen Unterschied?

Einen Musiker oder eine Musikerin könnte ich auf die erste und fünfte Stufe verweisen: das ist die abendländische Kadenz, auf der alles aufgebaut ist. Keine Ahnung, ob die hier entstanden ist oder ob sie jemand aus Tausend und einer Nacht mitgebracht hat. Diese Kadenz ist typisch für das Alpine, in ihr steckt alles drin. Dazu kommt, dass die Melodien sehr viel auf Dreiklängen aufgebaut sind; es gibt wenig Skalen, sondern mehr diese Dreiklänge.

Und wenn jemand keine musiktheoretischen Kenntnisse hat?

Da müsste man wohl mit Vergleichen arbeiten. Nimm die Musik aus den sardischen Bergen: Die haben wie wir diatonische Knopfziehharmonikas mit nur zwei Reihen und spielen ähnlich, aber doch anders – viel nervöser, mit viel mehr Tönen. Das Alpine hat eine größere Gelassenheit. Man setzt einen Ton und lässt ihn wirken. Das zieht sich durch. Die Instrumente dafür sind allerdings unterschiedlich. Im bayrischen Raum die Zither, die zusammen mit der Ziehharmonika den Klang ergibt, der sich vom Allgäu bis Oberbayern durchzieht. Das Alphorn wiederum gehört in erster Linie zur Schweiz. Ohnehin sind Instrumente erst spät aufgekommen; die Leute hatten früher gar nicht die Zeit und das Geld dafür, dazu war das Leben zu hart. Das erste Instrument war und ist die Stimme, die hat jeder, und darum ist auch die Gesangskultur sehr ausgeprägt.

Eine alte Schweizer Tanzweise von Max Lässer heißt bezeichnenderweise Nume nid gschprängt, also etwa Wir lassen uns nicht hetzen. Typisch alpin?

Ja. Aber ich finde solche Zurückhaltung auch bei den Samen oder den Tuareg, oder bei den nordamerikanischen Indianern. Dort gibt es auch Musik zum Abheben, aber im Grunde ist man ebenfalls ziemlich kontrolliert unterwegs. Das Leben in extremer Natur zwingt dich dazu. In den Bergen kannst du nicht einfach dahin stolpern, sonst fällst du gleich wo hinunter, und das prägt.

Einige Beispiele gehen hörbar auf sakrale Klänge zurück.

Vieles hat natürlich mit christlichen, katholischen Traditionen zu tun, mit Umzügen und Feiern. Bei uns oder in der Schweiz ist das nicht so ausgeprägt wie in Italien.

Wie im Lamento, dieser eindrücklichen Totenklage?

Ja, die kommt aus einer ganz kleinen deutschsprachigen Minderheit nordöstlich des Gardasees. Rundherum sprechen alle Italienisch und wenn man nicht aufpasst, merkt man gar nicht, dass das Deutsch ist.

War es eigentlich schwierig, solche Belege zu finden?

Es war nicht immer leicht, weil sich einige "Spezialisten" geweigert haben, ihr Wissen weiterzugeben, oder gar der Meinung waren, ich müsste es ihnen abkaufen. Das fand ich äußerst befremdlich. Schließlich geht es ja nicht um etwas, was sie selbst produziert oder geschaffen haben, sondern um Kenntnisse, die Künstlerinnen und Künstlern und vor allem der Kultur zu gute kommen. Aber ich hatte auch das Glück, ein paar Leute kennenzulernen, Musiker zumal, die sich schon lange und intensiv mit dem Thema beschäftigen und mir mit Freude weitergeholfen haben. 

Siehst du einen Grund für diese Zurückhaltung?

Vielleicht haben manche gedacht, jetzt kommt der Hubert wieder, möchte eine Quelle anzapfen und macht daraus etwas, was mir dann gar nicht gefällt.

Eine enge Haltung.

Das hat damit zu tun, dass Menschen, die sich mit einer sehr speziellen Kultur identifizieren, gerne unter sich sind. Manche haben auch das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Die wollen nicht, dass jemand in ihre Musik einen Ton hinein singt, der noch nie da war.

Ist das Material, nach dem du gesucht hast, in der Regel bereits auf CD veröffentlicht und greifbar?

Das Feld ist schon sehr gut erforscht. Es gibt jedoch auch besondere Sammlungen, etwa im Archiv des Volksliedwerks. Auch aus der NS-Zeit gibt es viel Material, weil man damals solches Kulturgut besonders gut und flächendeckend erfassen wollte.

War das ein Grund, warum du die Nazi-Brut reingenommen hast?

Ja, das gehört dazu. Es wird ja von den Städtern oft so dargestellt, als ob die Gebirgler der Kern des Nazitums wären. Aber auch hier gab und gibt es ein Sowohl als Auch.

Als Musiker schaust du seit langem auf die gelebte Tradition. Hat sich dein Blick mit der Entwicklung deiner eigenen musikalischen Interessen verändert?

Nein, dieses Gefühl habe ich nicht. Es ist, als ob ich den Faden wieder aufnehme, den ich vor zwanzig Jahren ausgelassen habe. Damals dachte ich, man kann und muss nicht alles wissen. Und es muss Zufälle geben, mit deren Hilfe man plötzlich etwas erfährt. Jetzt hatte ich einen Anlass, dem Zufall noch einmal einen Tritt zu geben.

Es gibt ja etliche, die wie du versuchen, die Tradition weiterzutreiben.

Ja, Max Lässer und Stimmhorn etwa, dann Palindrone oder Federspiel, die unter dem Begriff Weltmusik firmieren. Ich wollte sie unbedingt in der Auswahl, damit sich nicht nur eine geografische, sondern auch eine zeitliche Spanne auftut.

Gibt es da verschiedene Zugänge? Die kommen ja nicht alle aus den Bergen, nehme ich an.

Die meisten schon. Natürlich nicht mehr aus Goisern oder Lauterbrunnen, oder alle aus demselben Tal. Es sind Menschen aus unterschiedlichen Gegenden, die sich in einem urbanen Umfeld getroffen haben. Dort haben sie eine gemeinsame Liebe gefunden zu ihren Wurzeln, in die ein modernes Lebensgefühl und moderne Gewohnheiten einfließen können.

Gibt es ein Beispiel, wo dieses Miteinander von Tradition und Urbanität am sprechendsten wird?

Spontan fällt mir da einer ein, der aus Goisern kommt ... Aber Hotel Palindrone finde ich auch sehr, sehr spannend. Oder wenn man in einem Jodler von Broadlahn merkt, dass sich die afrikanische, pygmäische Jodeltradition, die es ja auch gibt, mit der alpinen verbindet. Wobei ich eh nur gelungene Beispiele ausgewählt habe; es gibt jedoch auch viel anderes. Melangen, wo du spürst, das hat keine Substanz, oder da stören sich die Welten gegenseitig, und man denkt sich: so ein Schaas.

Weil zu oberflächlich.

Genau. Man nehme und spiele einfach einen anderen Rhythmus drüber oder setze einen neuen Klang dazu. Das ist zu wenig. Das Spielgefühl geht nicht in den Kern hinein, sondern bewegt sich am Rand und an der Oberfläche.

Gibt es eigentlich auch eine Last dieser Tradition? Lähmt sie einen manchmal? Kümmert dich die Frage des Respekts überhaupt?

Am Anfang war mir das wurscht. Ich bin sogar angetreten, um das zu dekonstruieren. Das heißt, ich hatte keine Scheu, etwas kaputt zu machen oder jemanden vor den Kopf zu stoßen. Später hat sich das geändert. Vor allem, als ich mich nach den Alpinkatzen mit tibetischer Musik beschäftigte, oder mit afrikanischer. Da habe ich gemerkt, dass da eine Tabuzone ist. Mit meiner eigenen Musik kann ich machen, was ich will. Aber bei einer Musik, in der ich nicht verwurzelt bin, habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran etwas ändere und nicht weiß, wie es bei den Leuten ankommt, die das tief in sich drinnen haben. Ob es negative oder positive Empfindungen auslöst, wenn sie ihre eigene Musik plötzlich in veränderter Form hören. Mittlerweile glaube ich, dass Veränderungen der Tradition nur von denen gemacht werden können, die sie leben.

Wahrscheinlich fällt dieser Umgang mit der Tradition heute leichter, weil das Hineinhören in unterschiedliche Welträume selbstverständlich geworden ist.

Gewiss – zumindest selbstverständlicher als vor zwanzig, dreißig Jahren. Aber auch schwieriger, weil die Quellen anfangen, zu versiegen. Früher war die Volksmusik omnipräsent. Im Salzburger Regionalsender liefen gefühlte 24 Stunden Volksmusik. Heute musst du suchen, um die eine Stunde zu finden, wo wirklich Volksmusik gespielt wird – der Rest sind Pop oder Oldies, fast nur Englisch gesungen. Oder: Früher wurde in jedem zweiten Wirtshaus musiziert, man hat Volksmusik problemlos auch live hören können. Heute musst du sie suchen. Damit einher geht auch eine gewisse Freiheit. Du kannst der Szene aus dem Weg gehen. Dafür zwangsbeglückt uns jetzt der Supermarkt und das Formatradio mit seifig Flachem.

Hat sich damit auch die ideologische Diskussion aufgelöst, in der die Volksmusik als erratisch konservativer Block wahrgenommen wird und jeder, der sich damit einlässt, sofort unter demselben Generalverdacht steht?

Der Verdacht der Konservativität ist und bleibt gerechtfertig. Traditionen sind a priori ab- und zum Teil auch ausgrenzend. Ich glaube, dass dieses "Mia san mia" nach wie vor da ist. Unakzeptabel wird es vor allem dann, wenn Leute daraus eine Überlegenheit ableiten. Vielleicht sterben die eines Tages aus. Muss aber nicht sein.

Die Alpenliebe gibt es auf dem Glockner gratis

Salzburger Nachrichten 12. Juni 2014 | Text & Foto: Heinz Bayer

HvG und Kurt Diemberger[...] Unter dem Titel Steilklänge stellte [Hubert von Goisern] sein ganz persönliches Musikprogramm aus den Alpenländern zusammen. Die 99 Musiktitel begleiten die Besucher auf dem Weg durch die Ausstellung.

Am Tag der Eröffnung warteten die Gäste auf der Franz-Josef-Höhe aber vergeblich auf eine musikalische Botschaft des Weltmusikers. "Ich wollte musizieren. Vor zwei Monaten habe ich mich dann aber anders entschlossen. Die Höhe ist dem Schall nämlich nicht zuträglich." Das musste Goisern wenige Tage vor Eröffnung der Ausstellung selbst erfahren. Er setzte zu einem Jodler an und wurde prompt von deutschen Urlaubern belehrt: "Junger Mann, da müssen sie wohl noch üben." So blieb es am Mittwoch bei einer mündlichen Botschaft. Sie hatte die Toleranz zum Inhalt. Zu oft entstehe der Eindruck, dass Dinge aus der Entfernung betrachtet vertraut und nahe erscheinen. Aber mit zunehmender Nähe entstehe plötzlich Entfernung und Entfremdung. Das gelte auch in den Bergen. Wer aus einem Tal ins andere übersiedle, bleibe oft dauerhaft ein "Zuagroaster".

Eine akustische Reise durch den Alpenraum

www.grossglockner.at 11. Juni 2014 | Fotos: © Neumayr / MMV

Unter dem Titel Steilklänge hat der österreichische Liedermacher und Weltmusiker Hubert von Goisern für Alpenliebe sein ganz persönliches Musikprogramm aus den Alpenländern zusammengestellt. Besucherinnen und Besucher dürfen sich auf eine akustische Reise durch die musikalischen Traditionen dieser Vielvölkerregion freuen. Für Hubert von Goisern bot die Einladung von Kuratorin Julia Stoff die Gelegenheit zu neuen Recherchen; der Musiker entdeckte dabei Erstaunliches. "Etwa die Gesänge aus Premana, oberhalb des Comer Sees. Dort haben ganze Dörfer eine Gesangskultur, von der ich dachte, das gibt es vielleicht noch in der Dritten Welt, aber nicht bei uns. Die singen ganze Nächte durch. Wobei die Alpen ja selbst noch so ein Stück Dritte Welt sind. Vieles ist da nach wie vor ganz abgeschieden und exklusiv, auch ausschließend", so Hubert von Goisern.

Goiserer sucht alpenweit den Urklang

Salzburger Nachrichten 10. Juni 2014 | Text: Bernhard Flieher | Foto: © Jürgen Skarwan

Der Großglockner bot Hubert von Goisern die Chance zu erkennen,
dass er längst nicht so viel von seiner eigenen alpenländischen Musiktradition weiß, wie er vermutete.

HvGSALZBURG. Hubert von Goisern hat sich getäuscht. Tief drin steckt er mit seinen Songs immer wieder in der Tradition seiner Heimat. Dachte er. Und auch, dass er, der erfolgreichste Erneuerer, der Zurechtrücker und Umpflüger dieser alpenländischen Musikkultur, von seiner eigenen Tradition "mehr oder weniger eh alles kenne". Nun aber fand er Jodler in den Ostalpen und Gesänge am Comer See, die ihn heftig in Erstaunen versetzten.

Die Chance zu dieser Einsicht kam von Österreichs höchster Stelle: vom Großglockner. Für die Ausstellung Alpenliebe, die diese Woche auf der Franz-Josefs-Höhe eröffnet wird, kuratiert Hubert von Goisern das Musikprogramm. Dafür ging er auf Schatzsuche.

Er kehrt zurück in seinen gebirgigen Ur-Musikkosmos, die Volksmusik der Alpen, die ihn prägte, die in ihm klingt, die er für sich adaptierte und der er auch immer wieder den Rücken kehrte.

Für die Musik zur Ausstellung fand er Kleinode, die einen Bogen nicht nur über den Alpenkamm, sondern aus der Geschichte in die Gegenwart spannen – vom engen archaischen Klang der Täler bis zu weiten, durch Urbanität aufgefrischten Klängen. "Es ist, als hätte ich einen Faden wieder aufgenommen, den ich vor Jahren ausgelassen habe", sagt er.

Begegnet ist er auf der Suche auch immer noch jenem Misstrauen, das er vom Beginn seiner Karriere kennt. Einige "Spezialisten" hätten sich sogar geweigert, ihr Wissen weiterzugeben. "Manche waren gar der Meinung, ich müsste es ihnen abkaufen." Grundsätzlich aber sei der Umgang mit Tradition "selbstverständlicher geworden, als das noch vor 20, 30 Jahren war". Zu finden ist sie allerdings immer schwerer. "Früher war Volksmusik omnipräsent – in Wirtshäusern und auch in den Regionalsendern im Radio." Das gibt es nicht mehr. Etwas anderes aber bleibt: Den Verdacht der Konservativität konnte auch Goiserns aktuelle Spurensuche nicht widerlegen. Dieser Verdacht bleibe "gerechtfertigt".

"Traditionen sind a priori ab- und zum Teil auch ausgrenzend", sagt er. Und dass er am Comer See in Dörfern einer Gesangskultur begegnete, die ihn an ähnliche Traditionen in Ländern und Dörfern der Dritten Welt erinnert, verwunderte ihn auch nicht. Die Alpen seien "selbst noch so ein Stück Dritte Welt". "Vieles ist da nach wie vor ganz abgeschieden und exklusiv, auch ausschließend. Selbst wenn du nur zwanzig Kilometer weiter entfernt lebst – du gehörst nicht dazu." Nicht zu akzeptieren sei halt, wenn daraus "eine Überlegenheit" abgeleitet werde.

Hubert von Goisern bewegte sich schon viel an Orten und durch Kulturen, wo er als Goiserer nicht dazugehört. Die Ausseer hinter dem Pötschenpass würden das wohl auch schon behaupten. Und erst recht die Ebenseer am Talausgang der Traun. Auf seinen Wegen durch die Welt habe er sich jedenfalls immer schwergetan, fremde Tradition für sich und seine Musik zu nutzen. Oft fließen die Erlebnisse seiner Reisen dann ganz unbewusst ein. Intensiv beschäftigte er sich unter anderem mit Tibet und afrikanischer Musik. Wenn er daraus Eigenes geschaffen habe, habe ihn immer ein "schlechtes Gewissen" beschlichen. Die Unsicherheit war groß, wie das bei den Leuten ankommt, die "diese Kultur tief drinnen haben".

Mit der eigenen Kultur war's leichter. Die mischte er locker mit der Weltsprache der Popmusik. Der Respekt vor einer Tradition, die ihn auch selbst bestimmt, spielte wenig Rolle. "Am Anfang war mir das wurscht. Ich trat ja auch an, das zu dekonstruieren." Der Blick in die Welt aber habe eines klargemacht: "Mittlerweile glaube ich, dass Veränderungen der Tradition nur von denen gemacht werden können, die sie leben."

Gesucht hat er für die Ausstellung auf dem Großglockner zwischen Ötscher und Seealpen "keinen gemeinsamem Nenner, sondern Prototypen". Er suchte einen Kern der Musik, "von dem sich die Dinge später wegentwickelt haben – etwas Unverwechselbares".

Erstaunt hat ihn bei seiner aktuellen Suche für die Ausstellung, dass er etwa in den französischen Alpen in der Stille tappte. "Die wenigen Dörfer, die es gab, gelten als kulturell ausgestorben, sind nur mehr Tourismusburgen ohne spezifische Kultur", sagt er.

Mit "Müh und Not" habe er dann doch ein paar schöne Geigenstücke aufgetrieben. Dafür schlagen sich die französischen Alpen aber im klassischen Werk von Olivier Messiaen nieder. Wo der sich in seinen Kompositionen mit Abgründen oder lichten Höhen auseinandersetze, da schimmere deutlich seine Kindheit in Grenoble durch, der größten Stadt der Alpen.

Alpenliebe wird am kommenden Mittwoch eröffnet. Geplant ist, die von Hubert von Goisern zusammengetragenen Alpenklänge auf CD zu veröffentlichen.